piwik no script img

EG-Kompromiß: Einstieg in den Umstieg

■ Die Reform der Agrarpolitik bleibt weit hinter den ehrgeizigen Plänen der EG-Kommission zurück

Brüssel/Berlin (dpa/taz) — Bundesernährungsminister Ignaz Kiechle (CSU) kassierte gestern zwar wütende Proteste vom Deutschen Bauernverband für die Agrarreform der EG. Doch unter dem Strich können sich die zehn Millionen LandwirtInnen nach einhelliger Meinung in Brüssel über den Kompromiß der Agrarminister von Donnerstag abend nicht beklagen. Sind doch die Reformpläne der Europäischen Gemeinschaft im Verlauf der anderthalbjährigen Verhandlungen erheblich zusammengeschrumpft — und zwar auf das, was politisch mit zwölf Regierungen und deren Sonderwünschen machbar war.

Kernpunkt der Reform ist die Umstellung von mengenbezogenen Agrarsubventionen, die ein Anreiz zu beständiger Mehrproduktion waren, auf direkte Einkommenshilfen von 1993 an. Damit soll die riesige Überproduktion eingedämmt und die Preise an das Weltmarktniveau herangeführt werden.

Die Getreidebauern müssen die drastischsten Preiskürzungen hinnehmen. Die Getreidepreise sollen nach Angaben der Ratspräsidentschaft über drei Jahre von jetzt 318 DM um 29 Prozent sinken. Die Einkommensverluste sollen laut Kiechle „annähernd voll ausgeglichen“ werden. Landwirte, die mindestens 15 Prozent der Ackerfläche stillegen, erhalten für die gesamte zuvor bebaute Fläche im deutschen Durchschnitt rund 593 DM pro Hektar. Kleinerzeuger unter 20 Hektar Anbaufläche, das sind rund 80 Prozent der deutschen Betriebe, erhalten den Ausgleich ohne Stillegung.

Zwar werden die staatlich garantierten Ankaufspreise und Mengen auch für Rindfleisch gekürzt, doch können großzügige Ausgleichsprämien zusammen pro Tier aber immerhin 540 DM einbringen. Kritiker sehen deshalb darin einen größeren Anreiz zur Produktion als bisher.

Der Vorwurf, den der Unternehmerverband Deutscher Industrie- und Handelstag (DIHT) gestern erhob, die EG habe wieder nur an den Symptomen herumgedoktert, statt das kranke System völlig umzukrempeln, ist durchaus berechtigt. Die 30jährige gemeinsame Agrarpolitik datiert aus der Zeit, als in Europa zuwenig Lebensmittel hergestellt wurden. Heute bringt dieses System den Landwirten sinkende Einkommen bei wachsenden EG-Lagerbeständen: 26 Millionen Tonnen unverkäufliche Getreideüberschüsse, fast 900.000 Tonnen Rindfleisch, 260.000 Tonnen Butter und 280.000 Tonnen Magermilchpulver häuften sich zum Ende des Wirtschaftsjahrs 1991/92 in den EG-Lagerhallen, für die allein 15 der 64 Milliarden Mark EG-Agrarausgaben aufgewendet wurden.

Neben den Lagerhaltungsfirmen profitierte vor allem die Minderheit der finanzkräftigen Großbauern, die 80 Prozent der EG-Subventionen kassierte. Deshalb wollte EG-Kommissar MacSharry den direkten Einkommensausgleich sozial staffeln, die Großbauern sollten leer ausgehen. Weil die Regierungen das gegen ihre jeweiligen Agrarlobbies nicht durchgesetzt haben, werden die Ausgaben für den EG-Agrarhaushalt weiter steigen und in fünf Jahren bei 70 Milliarden Mark pro Jahr liegen.

Die hohen Agrarsubventionen blockierten bislang die Verhandlungen über ein weltweites Zoll- und Handelsabkommen (Gatt), die nach dem Kompromiß bessere Chancen haben, wieder in Gang zu kommen. dri

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen