: DIE 5. GEWALT — WEGE DURCH DEN MEDIENDSCHUNGEL Von Ben Vart
Die großen Ziele scheinen so weit, so unerreichbar — vorerst bleiben uns nur die Kleinigkeiten wie die kleinen Meldungen in der Süddeutschen Zeitung, auch wenn sie nur weiter unten, gleich neben dem Wetterbericht, abgedruckt werden:
„Im Erfurter Landtag ist mit den Stimmen von CDU, FDP und Teilen der SPD das Thüringer Polizeiaufgabengesetz beschlossen worden. Besonders umstritten war in der vorangegangenen Debatte der Passus über den ,finalen Rettungsschuß‘. Der Gesetzentwurf definiert ihn als ,äußerstes Mittel der Gefahrenabwehr, um Verbrechen zu verhindern.‘“
Verantwortlich für diese Legitimation zum Totschießen, ausgestellt für Polizeibeamte, die schon bei kleineren Entscheidungen oft überfordert wirken, ist der Thüringer Innenminister Willibald Böck, der selbst im Kugelhagel der politischen Vorwürfe steht. Der öffentliche Beschuß des CDU-Politikers hat sich an den Scheinchen, die für die Vermittlung von Raststättenkonzessionen in seine Tasche gelangt sein sollen, entzündet und zum Kreuzfeuer entwickelt. Der Blattschuß wird in den nächsten Tagen erwartet. Solche finalen Rettungsschüsse zur Erhaltung rudimentärer Reste einer politischen Moral sind auch ohne entsprechende Gesetzestexte weiter höchst erwünscht.
Vor wenigen Tagen noch, bei den ersten kleinen streikbedingten Müllhügeln, die Deutschlands Straßenränder säumten, schöpfte er noch aus dem vollen Vokabular des Gossenjournalismus: „Saustall Deutschland“ titelte Bild-Chefredakteur Hans-Hermann Tiedje. Jetzt wurde er beim großen Ausmisten aus dem warmen Schweinestall geworfen. Bis seine Entlassung sich auch im Impressum des schrumpfenden Groschenblättchens niederschlägt, werden noch einige Tage ins Land ziehen.
Erst nach Abschluß der laufenden Abfindungsverhandlungen für den vorzeitig Geschaßten dürfte es wieder die — neben der Titelleiste mit Datum und Verkaufspreis — zweite Druckspalte geben, auf deren Wahrheitsgehalt man sich bei 'Bild‘ verlassen kann.
Auch an der Spitze von Tempo hat es Veränderungen gegeben. Michael Jürgs, einst Chefredakteur des 'Stern‘ und zwischenzeitlich nur mit einer Biographie über Romy Schneider aufgefallen, meldet sich zurück in die Riege der Blattmacher. Im Editorial gibt er die Marschrichtung für die bisherige Lifestyle-Broschüre vor: „In diesem Sinne verabschieden wir uns mit dem aktuellen Heft vom Zweitgeist...“ — gut gebrüllt, Etagenpanther — „...betrachten die Jagd nach Marktlücken wie ein längst abgepfiffenes Spiel bodygebildeter Smarties...“ — bei den Spielen der Bodygebildeten durfte der kleine Kugelige nicht mitspielen, jetzt ändert er einfach die Spielregeln — „...die glauben, ein Dreitagebart mache sie zum starken Max und unverwechselbar — und konzentrieren uns auf das Wesentliche: Qualität.“ Das Wesentliche bei 'Tempo‘ ist keinesfalls die ordentliche Substantiv- und sonstige Bildung, und die bemängelte Nichtqualität der bunten Postille hing bisher auch mit Kolumnisten wie dem Magneten für Gegendarstellungs- und Schadensersatzforderungen Uwe Kopf zusammen. Der hatte einst, auch in 'Tempo‘, über Jürgs als weinerlichen Jammerlappen hergezogen.
Steinbach phantasiert: Solche Karrieren rettet manchmal kubanischer Rohrzucker und eine kunstvolle Blastechnik.
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