: Wenn die Vermieter Landlords heißen
Die leidige Wohnungssuche — einmal ganz anders ■ Aus Washington Andrea Böhm
Meine Freundin Clarice findet, daß ich bei der Wohnungssuche ausgesprochen devote Charakterzüge entwickle. Sie hat eben nie erlebt, wie 86 Menschen vor einem Berliner Hinterhaus Schlange stehen und sich um ein Wohnklo mit Schlafküche und Ofenheizung schlagen. So etwas sitzt tief und impft einem eine Mischung aus Verachtung und Unterwürfigkeit gegenüber Hausbesitzern in aller Welt ein — vor allem, wenn sie, wie hier, landlords heißen. Was mich unwillkürlich an eine Tafelrunde von Raubrittern denken ließ, bis Clarice mir wärmstens empfahl, im Radio nicht nur auf die „Top 40“, sondern auch auf die Werbung zu achten: Da bieten sie tatsächlich ihre Apartments mit übernatürlicher Kundenfreundlichkeit an, als säße ihnen die japanische Konkurrenz im Nacken wie den Chrysler- oder Buick-Händlern. Maklergebühren? Don't worry, honey, sagt Clarice. Zahlt der Vermieter. Renovierung? Don't worry. Zahlt der Vermieter. Mieterhöhungen muß der Raubritter bei der Stadtverwaltung beantragen.
„Anschauen, einziehen und eine Monatsmiete sparen“, brüllt die Stimme aus dem Autoradio und preist Wohnungen in einem nagelneuen Apartmentkomplex an — lauter kleine Bienenwaben mit domestiziertem Rasen vor der Tür — auf ein paar Millimeter gestutzt. (Sieht aus wie ein US-Marine auf dem Kopf, meint Clarice.) Spülmaschine, Kühlschrank, Waschmaschine, Swimmingpool, Kabel-TV und Garagenplatz. Gediegene Hotelatmosphäre mit Klimaanlage, möglichst wenig Kontakt zum Nachbarn. Dafür achten die Landlords und Hausverwaltungen hier ziemlich akribisch darauf, daß nur der seinen Fuß über die elektronisch gesicherte Schwelle setzt, der wirklich hier wohnt.
Das ist die Wohnkultur vieler alleinstehender, berufstätiger Frauen, die sich hier vielleicht nicht zu Hause, aber ziemlich sicher fühlen. Denn kaum stecken sie die Nase aus dem Fenster, werden sie gewarnt, nicht allein durch Parks zu joggen, nicht allein U- Bahn zu fahren, nach Einbruch der Dunkelheit nicht über den Universitäts-Campus zu laufen. Herzlich willkommen in der Rohrpostwelt, sagt Clarice. Der Lift befördert dich morgens um neun in deine Tiefgarage, das Auto spuckt dich im Büro wieder aus; um fünf Uhr nachmittag geht das Ganze retour. Wo wir Frauen doch einst ausgezogen sind, den öffentlichen Raum zu erobern.
Ich habe vorerst eine Wohnung downtown erobert. Da wird die Hautfarbe mancher Mieter schon etwas dunkler, und die Fürsorge und Wachsamkeit der „Landlords“ etwas geringer. Ein paar Blocks weiter hört sie dann ganz auf. Dafür erinnert der Rasen nicht so sehr an Soldatenschädel. „Don't worry, be happy“, sagt Clarice. Denn da steht dieses Schild an der Straßenecke — hochoffiziell wie ein Verkehrszeichen. Dort steht drauf, daß ich jetzt in einer „drogenfreien Zone“ lebe.
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