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Rußland wirbt um den Mittelstand

■ Mitarbeiter der Privatisierungsbehörde KVS auf der Suche nach kapitalkräftigen Investoren

Berlin (taz) — Ob der Rubel rollt oder nicht, interessiert die russische Regierung weniger. Ihr Blick gilt mehr dem Dollar, der Mark oder dem japanischen Yen. Denn für die junge Republik steht fest: Aus eigener Kraft geht der Aufbau der Marktwirtschaft nicht schnell genug voran. Ausländische Investoren müssen her, die Kapital und Know-how mitbringen.

So gründete die Regierung ihre eigene Privatisierungsanstalt, das Staatliche Komitee zur Verwaltung des Staatseigentums (KVS). Ihre Mitarbeiter reisen nun durch die alte kapitalistische Welt, um dort ansässigen Firmen den Schritt in den Osten schmackhaft zu machen. Frei nach einem Wahlspruch Jelzins, Rußland brauche nicht hundert Millionäre, sondern Millionen von Eigentümern, wird besonders um mittelständische Unternehmen geworben. Die Russen glauben, mit ihnen ein gesundes Wettbewerbsklima und einen sozialen Schutz für Arbeitnehmer aufbauen zu können.

Doch die Bilanz ist bislang äußerst mager: 1990 waren gerade 760 Joint ventures registriert, nur 25 Großunternehmen waren mit von der Partie. Insgesamt brachten ausländische Firmen 850 Millionen Dollar an Investitionsmitteln ein. Ganz oben auf der Investitions-Hitliste standen Baustoffindustrie, Consulting, Computertechnik und Dienstleistungen. Doch dann kam der Militärputsch im August 1991; mit dem Enthusiasmus der Unternehmer war es erst einmal vorbei. Seither stecken sie das spärlich fließende Geld in nicht ganz so kapitalintensive Branchen: Der Banken- und Versicherungsbereich und die Nahrungsmittelwirtschaft wurden zu Spitzenreitern bei den Investoren.

Heute sieht Anatoli E. Kopylow, Berater im russischen Finanzministerium, die Chance für ausländische Investoren vor allem in jenen Wirtschaftszweigen, in denen die Technologie eine entscheidende Rolle spielt — so etwa in der Brennstoff- und Energieindustrie. Außerdem biete Rußland einen riesigen Markt für landwirtschaftliche Produkte. Wer hier gute Verarbeitungstechniken mitbringe, könne etwas verdienen, sagt Kopylow. Das gleiche gelte für Massenbedarfsartikel wie Kleidung oder Schuhe. Allerdings überschnitten sich die einheimischen und ausländischen Interessen nicht immer, umschreibt er vorsichtig das Problem, das Rußland mit den ausländischen Unternehmern hat. Im Klartext: Die hergestellten Waren bleiben oft liegen — entweder sind sie zu teuer, oder niemand kann mit den Produkten etwas anfangen.

Doch damit nicht genug: Auch die rechtliche Lage ist verwirrend. Wirtschaftsgesetze werden erlassen, um kurze Zeit später wieder gekippt zu werden. Als besonders abschreckend gilt beispielsweise das neue Steuergesetz: Der Spitzensteuersatz für Ausländer liegt derzeit bei 60 Prozent, die Mehrwertsteuer beträgt 28 Prozent. Daß sie mit einer solchen Besteuerung keinen ausländischen Investor hinter dem Ofen hervorlocken können, wird auch den Parlamentariern immer klarer. So gehen die Diskussionen um neue Steuergesetze in die nächste Runde.

Unsicherheit herrscht zur Zeit auch auf dem Immobilienmarkt. Ausländische Investoren, die sich auf die Suche nach einem geeigneten Grundstück oder Gebäude für ihre Geschäfte machen, haben es nicht leicht. Denn eine einheitliche gesetzliche Regelung für Pachtverträge gibt es noch nicht; zudem müssen zahlreiche Institutionen ihr Placet zu einem Vertrag geben. Eindeutig sind die rechtlichen Bestimmungen nur, wenn es um den Kauf von Grund und Boden geht — das bleibt Ausländern vorerst verboten. Elisabeth Rochell

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