piwik no script img

Ein Globe-Theatre in Berlin

■ Theaterprojekt am Potsdamer Platz nach englischem Vorbild

Wohl kaum einem der jüngeren Berliner ist das »Esplanade« am Potsdamer Platz ein besonderer Begriff. Und wenn man sich heute auf den Weg macht, es aufzusuchen, erscheint es von außen nicht besonders interessant. Eine schmucklose, abgebröckelte Fassade, mit verdreckten, nicht mehr leuchtenden Großbuchstaben auf dem Dach.

Früher, als ja sowieso alles besser oder zumindest anders war, hatte auch das Haus einen weit attraktiveren Ruf. Am Ende des vorigen Jahrhunderts als Hotel gebaut, bot es in einer schloßähnlichen Anlage — die Hinterfront reichte bis zur heutigen Staatsbibliothek — Raum für vielfältigste Vergnügungen. Neben einer stattlichen Anzahl von Zimmern gab es die unterschiedlichsten Restaurants, Bars, Konzert- und Ballsäle, in denen sich die, die über das nötige Kleingeld verfügten, königlich amüsierten. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude zu neunzig Prozent zerstört. In den fünfziger Jahren nutzte man die übriggebliebenen Räume, um Filme zu zeigen oder Tanzabende zu veranstalten. Mit dem Bau der Mauer geriet das Haus dann völlig ins Aus und stand nur noch für wenige Filmaufnahmen zur Verfügung. Dabei wurde das, was an Schönheit noch vorhanden war, hemmungslos dem Zweck geopfert: Facettenspiegel mit Farbe zugeschmiert, Parkettfußböden herausgerissen, übriggebliebene Requisiten einfach stehengelassen. Die Müllberge in den Räumen wuchsen, niemand fühlte sich zuständig, und so verrottete das Gebäude langsam, aber sicher vor sich hin.

Jetzt soll es zu neuem Glanz gelangen, und das ist einem Mann zu verdanken: Kurt Lutz, Ende vierzig, Schauspieler und wohl einer von denen, die vom Theater besessen sind. Er war an verschiedensten Theatern engagiert, hat eigene Abende, allein oder mit ein oder zwei Kollegen herausgebracht. Seine große Liebe, und damit ist er unter seinen Kollegen sicher nicht der einzige, galt immer schon Shakespeare und darüber hinaus dem Globe-Theatre, der Bühne, für die Shakespeare seine Stücke schrieb. Das originale Globe am Themseufer in London, von den Brüdern Bubbage 1613 neu erbaut, nachdem das alte Haus abgebrannt war, bestand aus einem hölzernen Rundbau, der auf mehreren Emporen Zuschauerlogen für das zahlungskräftige Publikum enthielt. Das Volk konnte die Stehplätze auf der runden Fläche zu ebener Erde einnehmen — damals für einen Penny zu haben. Die Bühne, von allen Seiten gut einsehbar, lag etwa zwei Meter hoch, so daß die Schauspieler den kritischen Blicken von oben und den spontanen Äußerungen von unten ausgesetzt waren.

Und so ein Theater hat Lutz in einen der Säle des Hotels Esplanade einbauen lassen. Kleiner zwar — im ursprünglichen Globe fanden 2.000 Leute Platz; in Berlin wird es nur 200 Zuschauern geben —, aber die Grundform ist original. In diesem Ambiente probieren zur Zeit drei Männer 18 Rollen (zu Shakespeares Zeiten gab es keine Schauspielerinnen), ein Stück mit dem Titel Laßt mich auch den Löwen spielen. Untertiel: »Eine wirklich tragische Komödie — der ganze Shakespeare an einem Abend«. Shakespeare-Kenner wissen: der Titel stammt aus dem Sommernachtstraum. Und nicht nur der. Lutz und sein Co-Autor Reinhard Würffel haben ein Stück geschrieben, das sich um Liebe, Macht, Geld, Tod, Verwechslung dreht, eine eigene Geschichte hat und nur aus Shakespeareschen Worten besteht. Mehr soll vom Stück nicht verraten werden. Nur soviel: Der Abend verspricht auch für Shakespeare-Laien amüsant zu werden.

Wenn man von Kurt Lutz durch das Haus geführt wird und ihn die Entstehungslegende erzählen hört, spürt man den Stolz und die Freude, eine Idee, die möglicherweise am Kneipentisch entstand, tatsächlich in die Tat umgesetzt zu haben. Heute ist gar nicht mehr zu sagen, was eher da war: der Wunsch, ein Globe-Theatre aufzubauen oder Shakespeare in anderer Form zu spielen.

Fest steht, daß verschiedene Zufälle in dieses Haus am Potsdamer Platz geführt haben. Neuer Besitzer ist der Elektronikriese Sony, der zur Zeit mit dem Gebäude noch keine konkreten Pläne hat. In über Monate geführten Briefwechseln und Telefonaten hat Lutz das Einverständnis errungen, in den nächsten anderthalb Jahren hier Theater zu spielen. Sony verlangt keine Miete und übernimmt die Strom- und Heizkosten. Das ist für den Anfang schon viel, aber Bargeld war damit für Umbauten noch nicht vorhanden. Um es vorwegzunehmen: das Projekt erhält keinerlei öffentliche Förderung; es ist vollständig eigenfinanziert. Lutz gründete eine »Membership Berliner Globe-Theatre«, bekam damit 7.000 Mark zusammen und begann im Januar diesen Jahres mit der Renovierung. Sein Versuch, Sponsoren unter den künftigen Bebauern des Potsdamer Platzes zu finden, scheiterte, und so griff er auf Berliner Mittelstandsunternehmen zurück. Viele ließen sich begeistern und sponserten. Das Holz für die Bühne, die Lampen im Treppenhaus, die Möbel im künftigen Champagnerzimmer, die Autos für die Transporte und viele andere Dinge konnten auf diese Weise beschafft werden. Noch ist längst nicht alles da, aber mit einem bewundernswerten Optimismus vertraut Lutz auf die Zukunft.

Inzwischen gibt es auch einen rechtmäßig eingetragenen Verein »Berliner Globe-Theatre«, der sich über jedes neue Mitglied freut. Premiere für den Shakespeare soll am 20. Juni sein. Neben der Aufführung kann man eine Ausstellung mit Videos und Dias anschauen; man kann vor Beginn oder in der Pause in verschiedenen Restaurants oder im Hof essen oder trinken. Der Besuch im Globe soll nicht nur ein Theaterbesuch, sondern ein rundum schöner Abend werden. Ein nächstes Vorhaben gibt es auch schon: Columbus oder die Entdeckung Amerikas von Tucholsky/Hasenclever. Damit will Lutz den Beweis antreten, daß man in einem Shakespearetheater nicht nur Shakespeare spielen kann. Sibylle Burkert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen