: Bald nur noch Hotels und Puffs am Prenzelberg?
■ Kollwitzstraße 89 Präzedenzfall für Entwicklung des Bezirkes/ Besitzer hat Ende 1991 Bewohnern wegen Eigenbedarfs gekündigt, um das Haus in ein Hotel umzuwandeln/ Bauverwaltung will keine grundsätzliche Entscheidung treffen
Prenzlauer Berg. Am Haus in der Kollwitzstraße 89, das am 15. Mai nach einer friedlichen Besetzung ebenso friedlich geräumt wurde (die taz berichtete), entzünden sich weiterhin die Gemüter. Das ist kein Zufall. Die aktuelle Geschichte des Altbaus in attraktiver Wohnlage ist ein Präzedenzfall, der möglicherweise schon bald vielen Ostberliner Mietern zum Fallstrick in die Obdachlosigkeit geraten könnte: Ende 1991 hatte die Eigentümerin, die Berolina Immobilien GmbH, den Bewohnern wegen Eigenbedarfs gekündigt.
Nach einem abschlägigen Bescheid von seiten des Bezirks wurde bei der Senatsbauverwaltung eine Umnutzung in ein Hotel beantragt. Dabei kommt ihrem Anliegen ein Verwaltungsgerichtsurteil von 1988 zugute. Darin war die Zweckentfremdung von Wohnraum dann für zulässig erklärt worden, wenn innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren bei Gegenüberstellung von Mieteinnahmen und anfallenden Kosten (zum Beispiel für notwendige Sanierung) kein Überschuß für den Vermieter zu erwarten ist.
»Wirtschaftlichkeitsberechnung« nennt sich die Zauberformel, die angesichts des miserablen baulichen Zustands von Ostberliner Wohnhäusern fast immer zugunsten des Eigentümers entschieden werden dürfte. Macht dieses Beispiel Schule, stehen Spekulationsplänen jeglicher Fasson Tür und Tor offen. Der Prenzelberg könnte innerhalb kürzester Zeit mit Hotels, Eigentumswohnungen für zahlungskräftige Wessis, Arztpraxen oder gar noch lukrativeren Stundenhotels zur neuen Schickimickigegend von Berlin avancieren.
Solche Aussichten treiben die Ostberliner Bürgerinitiative W.b.a. (Wir bleiben alle) auf die Barrikaden. Bernd Holtfreter vom W.b.a.: »Wir brauchen eine grundsätzliche politische Entscheidung zu dieser Problematik«. Und genau die mag die Senatsbauverwaltung nicht treffen. Sprecher Erich Jesse: »Uns sind die Hände gebunden, es geht um rein juristische Fakten.«
Die Geschichte beweist das Gegenteil: Das zitierte Verwaltungsgerichtsurteil bezog sich in Kreuzberg auf die Reichenberger Straße 63a. Aufgrund mangelnder Renditeerwartung wurde damals gar der »Abriß eines unwirtschaftlichen Gebäudes« erlaubt. Es kam nicht soweit. Ex-Besetzer Uwe Rada: »Mit drei Besetzungen und Öffentlichkeitsarbeit im Kiez haben wir den Diepgen- Senat zu einer politischen Lösung gezwungen.« Das Haus wurde mit öffentlichen Mitteln saniert und wieder vermietet.
Der fragliche Altbau in der Kollwitzstraße ist möglicherweise sogar auf juristischem Wege zu retten. Nach Worten des Baustadtrats von Prenzlauer Berg, Matthias Klipp, der seinerzeit höchstpersönlich an der Besetzung teilgenommen hatte, seien die Wohnungen »im Top-Zustand und sofort wieder vermietbar«. Bei einem Ortstermin gestern sollte S.T.E.R.N., Gesellschaft für behutsame Stadterneuerung, ein neues Gutachten über notwendige Sanierungskosten erstellen, dessen Ergebnis für Mitte Juni erwartet wird. Sollte das nicht den Interessen der Wohnungssuchenden entgegenkommen, kündigte Wolfram Kempe vom Besetzerrat, dem Zusammenschluß sämtlicher derzeit besetzter Häuser, den »Kampf in den Straßen« an. Jantje Hannover
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen