: „Ein leidendes Volk“
In Serbien distanziert sich die Kirche von Milosevic ■ Von Roland Hofwiler
Budapest (taz) — Jahrelang kamen sie gut miteinander aus. Patriarch Pavle, Oberhaupt der serbisch- orthodoxen Kirche, und Slobodan Milosevic, Sohn eines Priesters, der nach eigenen Angaben gerne selbst in den Kirchenberuf gewechselt wäre. Da er jedoch erkannt habe, daß er in der Politik für die „serbische Staatserneuerung“ mehr tun könne, sei er eben in die Politik gegangen. Wie eng aber in der Tat weltliche und kirchliche Politik in der Geschichte Serbiens Hand in Hand gingen, wird schon in der Schlacht auf dem Amselfeld 1389 deutlich. Es war Dusan der Große, weltlicher und kirchlicher Herrscher in einer Person, der dort zur Schlacht gegen die türkischen Unterdrücker rief — und verlor. Im serbischen Mythos jedoch bewahrte sich der Glaube, Serbien hätte gegen die osmanische Übermacht gewonnen, wenn es die gleichen brutalen Massakermethoden wie die „heidnischen“ Türken angewandt hätte. Allein der christliche Ethos habe es ihnen verboten, Gefangene bei vollem Bewußtsein aufzuhängen, Gliedmaßen abzuschneiden, unschuldige Frauen und Kinder zu foltern.
Und so betonten serbische Politiker und Kirchenvertreter immer wieder, daß das serbische Volk seinem Wesen nach lieber leide, anstatt Rache zu nehmen. Daher wollten viele Serben es nicht wahrhaben, daß der Krieg in Kroatien nicht von der kroatischen Regierung angezettelt, sondern von ihren Landsleuten mit Provokationen begonnen wurde.
Den Umschwung brachte erst das Massaker in der Innenstadt Sarajevos in der vergangenen Woche. Als sei für ihn eine Welt zusammengebrochen, bezeichnet nun Patriarch Pavle Milosevic als „Verbrecher“, der „Serbien ins Verderben führt“. Der Heilige Synod, die Bischofskonferenz der Orthodoxen Serbiens, fordert den Rücktritt Milosevics. Ein Machtwort, das noch Folgen haben wird.
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