Lacan als Fährmann

■ Zur Tagung der Fondation européenne pour la Psychanalyse in Berlin

Es ist bekannt: Die Psychoanalyse exploriert die Heimlichkeit, sie beschäftigt sich mit Privatangelegenheiten, die aber selber von der Geschichte geprägt werden. Insofern kann die Psychoanalyse nicht vermeiden, das Verhältnis vom Privaten zum Öffentlichen sowie ihre eigene Geschichtlichkeit immer wieder zu untersuchen. Was die Psychoanalyse über Geschichte, über ihre eigene historische Bedeutung und Bedingtheit zu sagen hat, war das eigentliche Thema der Arbeitstagung der Fondation européenne pour la Psychanalyse, der Institution der orthodoxen „Lacaniens“. Unter Teilnahme einiger ihrer Gründer — wie Moustafa Safouan und Gérard Pommier — sowie des Übersetzers Lacans ins Deutsche, Norbert Haas, tagte sie vom 28. bis 30. Mai in Berlin.

Das Angebot von deutscher Seite, ein Kolloquium über „Lacan und das Deutsche“ ausgerechnet in Berlin zu organisieren, wurde auf französischer Seite offensichtlich als „Die Psychoanalyse und der Nationalsozialismus“ interpretiert, als ein Anlaß, sich mit der deutschen Geschichte als Symbol der Geschichte dieses Jahrhunderts schlechthin auseinanderzusetzen. Die öffentlichen Vorträge vom 30. Mai sowie Anspielungen der Teilnehmer auf die Diskussionen der vergangenen Tage ließen es deutlich spüren.

Für Anne Lise Stern, französische Psychoanalytikerin aus Berlin-jüdischer Abstammung, die die Deportation nach Auschwitz am eigenen Leib erfahren hatte, ist Psychoanalyse letztlich nur die fortdauernde Reflexion über die Shoa: „Die Psychoanalyse denkt nur daran, redet nur davon.“ Wobei auch von deutscher Seite bemerkt wurde, daß die Psychoanalyse sich explizit viel zuwenig mit dem Thema beschäftigt hat. Auch sie hat es verdrängt.

Der Nazismus bedeutete für die Psychoanalyse ein vielfältiges, sich fortpflanzendes Verbot: Nicht nur wurden ihre Vertreter ins Ausland vertrieben und die Disziplin totgeschwiegen. Nein, sie wurde auch ihrer Ursprungssprache weit über die Zeit der Schreckensherrschaft hinaus beraubt, indem die Mörder sie für sich vereinnahmten, sie unüberhörbar entstellten. Wie wieder in der Sprache und über die Sprache der Gründungstexte sprechen, wie wieder einkehren nach der Vernichtung, über die nicht gesprochen werden durfte (in der Öffentlichkeit), über die nicht gesprochen werden konnte (denn mit wem?)?

Die Psychoanalyse trägt Spuren dieser historischen und linguistischen Odyssee, die sich auch in dem oft spontanen und sogar ungewollten Sprachwechsel der Vortragenden zeigte. Lacans „Rückkehr zu Freud“, seine philologisch-kreative Übertragung mancher Schlüsselbegriffe und sein Gespür für deren sprachliche Befangenheit im deutschen Original ist für diese Verwandlung der Psychoanalyse durch die geographische und linguistische Umsiedlung beispielhaft und wesentlich. Freud liest sich seit Lacan anders.

Als die Psychoanalyse nach dem Krieg nach Deutschland zurückzukehren versuchte, war sie nicht unverändert. Die Übersetzung von Lacans Werken ins Deutsche ist praktisch die Rückübertragung einer Übertragung, eine Episode in der Geschichte der Psychoanalyse über den Rhein und zurück, mit Lacan als „Fährmann“, als „Passeur“. Und zwar nicht nur im linguistischen Sinne: Theoretisch und historisch ist Lacan von manchem deutschen Psychoanalytiker der Nachkriegsgeneration als eine Möglichkeit, das „Schweigen“ der Eltern zu durchbrechen, rezipiert worden. Denn die Nähe der Lacanschen Untersuchungen zu den Freudschen Ursprüngen machte ihn zu einem der wichtigsten Vermittler.

So wurde dieser Kongreß auch zu einem bewegenden Zusammentreffen von Psychoanalytikern verschiedenster Biographien und Schicksale. Linguistisch-technische Aspekte wurden kaum zur Sprache gebracht. Der Lacan-Übersetzer Norbert Haas zum Beispiel versuchte in seinem Vortrag nachzuweisen, wie Lacans spielerischer, die Begriffe endlos entfaltender, paraphrasierender Umgang mit der Sprache direkt von Heidegger, dessen Logos-Vortrag er 1954 übersetzte, inspiriert wurde. So wurde nicht über die (deutsche) Sprache als langue, als linguistisches Wesen, sondern über die Sprache als parole, als Akt des Sprechens, diskutiert — und über das psychoanalytische Sprechen in der deutschen Sprache und Geschichte.Beatrice Durand

Lacans Werk wird in deutscher Sprache von Norbert Haas im Quadriga Verlag herausgegeben.