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Zwischen Pound und den Beatniks

■ Action Poetry: Der Amerikaner Robert Creeley las im Literaturhaus an der Fasanenstraße

Man nennt ihn: die Krähe. Auf manchen Fotos hält er den Greifvogel in der Hand. Weil er so einen scheelen Blick drauf hat. Robert Creeley, 1926 in Arlington, Massachusetts, zur Welt gekommen, in den vierziger Jahren zum Dichter avanciert, ist bis heute einer der ganz wichtigen, ganz schlichten, ganz ruhigen Sprachneuerer. Gedichte zwischen Ezra Pound und den Beatniks. Reduzierte, atemknappe Zeilen, eine semantische Architektur, die Olsons »projektivem Vers« verwandt ist, charakterisieren Creeleys karge Gedichte: Das Metrum wird bestimmt durch die Individualität des Atems, nicht durch den klassischen Formkanon. »Zeit. Von Augenblick / zu Augenblick / scheint mir / der Körper / da zu sein: ein / Schnappen nach / Luft, Muster / des Raums — Laß uns / heute laufen / bis ganz runter / zum Strand / laß uns überlegen / wo wir sein werden / nach einem Zeitraum von / zwei Jahren, wo / wir waren. Laß / die Tage vorüberziehen. / Jeder Augenblick ist / von solch paradoxer/ Definition — ein / Wasserfall der / zurückfließen würde / wenn er könnte. Er / kann es? Meine Zeit, / denkt man, / nähert sich / einem Ende...«

Von 1954-56 lehrte Creeley zusammen mit Charles Olson am legendären Black Mountain College, einem ästhetischen Labor der amerikanischen Nachkriegsmoderne. Auch der junge John Cage war hier zeitweilig beschäftigt. Veröffentlicht hat Creeley, den es als Ambulanzfahrer zunächst nach Indien und Burma verschlug, viel: ins Deutsche übersetzt sind unter anderem 1967 Words, 1986 Memory Gardens, 87 Die Insel (Familienerlebnisse auf Mallorca, übersetzt von Ernst Jandl), 1988 Gedichte und zuletzt Die Goldgräber.

Im Literaturhaus am Dienstag abend, zu Geigenetüden, die aus der Nachbarschaft herüberdringen, liest Creeley seine Texte ein bißchen beiläufig (oder einfach nur: bescheiden). Zu seiner Linken überträgt Klaus Reichert derweil die 2-Wort- Verse Creeleys vom analytischen Amerikanisch in das synthetische Deutsch. Reichert, der erfahrene Anglist, Joyce-Kenner und jahrelanger Creeley-Übersetzer, erfüllt seine Aufgabe dezent: Ohne Umschweife gesteht er zu, daß er Creeleys Gedicht Consolatio bestenfalls als De Consolatio zu übersetzen vermag.

Einer der schönsten Momente des Abends, die Gedichte Song und Mothers Voice ausgenommen, ist der Vortrag von Creeleys Kurzgeschichte Mr. Blue: die sublime Eifersucht eines Ehemanns im Schatten der subtilen Liebeserklärung eines Zwerges an eine Frau. Die intensive, detaillierte Erzählung, geprägt von der Methode seiner Poesie, stammt aus dem Band Die Goldgräber, der erst in diesem Jahr in Deutsch erschienen ist, aber in den Jahren 1951-63 verfaßt wurde. Robert Creeleys Texte sind manchmal kaum mehr als eine Handvoll Vogelknochen, so karg, so leicht. Mirjam Schaub

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