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Ralf Fücks: Plädoyer wider den alternativen Kleinmut

■ Zur Debatte um die Selbständigkeit Bremens und die Neigung, aus den realen Bedingungen der Politik zu fliehen

Der Streit, ob das Karlsruher Finanzausgleichs-Urteil ein halber Sieg oder eine halbe Niederlage für Bremen war, ist nicht sehr ergiebig.

Fakt ist: es gibt einen Rechtsanspruch auf Nachzahlung von rund 535 Mio DM; das wird die Haushalte 1994/95 entlasten. Darüberhinaus wurden Bund und Länder verpflichtet, an einem Sanierungspaket für Bremen mitzustricken, das die Zinsgarotte lockert und die Wirtschaftskraft stärkt. Hier wird es nicht nur ein zähes Feilschen mit dem selbst in Finanznöte geratenen Bund und den großen Brüdern und Schwestern im Bundesrat geben, sondern einen innerbremischen Tanz um die Frage, wie dieses Sanierungspaket aussehen soll:

Werden vom Bund in alter Manier Sonderzuweisungen für Fernstraßenausbau gefordert, um die Bremische Wirtschaftskraft zu stärken, oder nutzen wir die Chance, die Karlsruher eröffnet hat, um die Gelder für einen attraktiven öffentlichen Nah- und Regionalverkehr zusammenzukratzen und den Gütertransport auf die Schiene zu bringen? Wird der Landschaftsverbrauch für Gewerbeflächen beschleunigt, um Betriebe nach Bremen zu locken, oder legen wir ein Investitionsprogramm zur städtebaulichen und ökonomischen Aufwertung der alten Industrie- und Hafenareale entlang der Weser auf? Soll die Bremische Industrie verstärkt von Rüstungsaufträgen des Bundes profitieren, oder wird Bremen zu einem Zentrum für Umweltforschung und -technologie? Soll die Bundeswehr als „Wirtschaftsfaktor“ in Bremen bleiben, oder sollen die Bremer Kasernen möglichst schnell geräumt werden, um sie als Gewerbehöfe, Studentenwohnheime und Mischquartiere nutzen zu können? Gelten Investitionen in die öffentliche Kinderbetreuung, in die Qualität des Schulwesens oder in das Kulturleben auch als Zukunftsinvestitionen oder als zu minimierende Kosten? - Kurz und gut: daß mit dem Bund über eine Sanierungsstrategie zu verhandeln ist, wird hoffentlich die Diskussion um alternative Zukunftsentwürfe für Bremen beflügeln. Die bloße Vertretung von Lobbyinteressen und die Addition des Wünschbaren wird allerdings nicht ausreichen, um den Streit mit den Strukturkonservativen und Wachstumsfetischisten zu gewinnen.

„... plädiere ich für Wertkonservatismus und für Stadtstaat-Demokratie“

Selbstverständlich ist der Karlsruhe Richterspruch kein Blankoscheck für die Zukunft Bremens. Der Wink mit dem Zaunpfahl einer Neugliederung des Bundesgebiets, falls anders die Leistungsfähigkeit des föderalen Systems nicht gesichert werden kann, ist unübersehbar.

Die finanzielle „Sanierung“ der Hansestadt kreuzt sich mit der bevorstehenden Generalrevision des Finanzausgleichs zwischen dem Bund, den „alten“ und den „neuen“ Ländern. Was im Saldo beider Operationen herauskommen wird, ist offen. Die Selbständigkeit Bremens bleibt prekär; sie kann nur mit einer großen Kraftanstrengung politisch und materiell gesichert werden. Lohnt sich dieser Kraftakt? Ich gestehe, daß ich diese Frage nicht für mutig, sondern für kleinmütig halte.

Erstens wiegt eine jahrhundertealte Geschichte als freie Stadtrepublik schwerer als finanzielle Nützlichkeitserwägungen. Wenn der rein instrumentelle Umgang mit Tradition und Identität modern ist, plädiere ich in diesem Punkt für Wertkonservatismus.

Zweitens hat ein Stadtstaat ein demokratisches Potential, einen Grad von Öffentlichkeit und Bürgerbeteiligung, der in keinem Flächenstaat möglich ist. Darin steckt auch eine ökonomische Produktivkraft, die noch kaum mobilisiert ist.

Drittens bestand die bisherige Stärke des bundesdeutschen Föderalismus gerade in der bunten Vielfalt unterschiedlich geprägter Länder. Dieser Vorzug sollte mit Blick auf den drohenden europäischen Zentralismus verteidigt werden, statt ihn preiszugeben.

Viertens, wenn man die Sache schon finanzpolitisch betrachtet, würden die Nordstaaten bei einer Fusion auf der Basis des geltenden Finanzausgleichs etwa 2,5 Mrd. DM verlieren. Wer sich von einer Eingemeindung Bremens in einem Nordwest-Staat eine reichhaltigere kulturelle oder soziale Infrastruktur verspricht, wird ein böses Erwachen erleben.

Fünftens sollten wir endlich realisieren, daß die Knappheit öffentlicher Finanzen kein regionaler und zeitlicher Ausnahmezustand mehr ist, sondern zum Normalfall der Politik wird. Das ist gerade für Grüne, die einmal ge

gen den Wahn des „Immer mehr“ angetreten sind, kein Grund zur Resignation. Das larmoyante Gerede vom Ende der Politik sollten wir pensionierten Senatoren überlassen.

Sechstens gibt es eine Perspektive jenseits von Einigelung oder Selbstaufgabe, die es jetzt zu konkretisieren gilt: die enge Vernetzung zwischen Bremen und seinem Umland. Das beinhaltet auch partiellen Souveränitätsverzicht zugunsten einer konzertierten Regionalpolitik und gemeinsamer

Einrichtungen (Hafenverbund, gemeinsame Flächenpolitik und Wirtschaftsförderung, Verkehrs- und Energieverbund, Arbeitsteilung in Wissenschaft und Forschung, Tourismus etcpp).

„Die Schönwetterperiode ist vorbei“

Hinter dem trotzigen „Wir pfeifen auf die Bremische Selbständigkeit“ steckt die Weigerung, den Übergang zu einer Politik der knappen Ressourcen zu akzeptieren, die auch Einschränkungen und Härten mit sich bringt. Die linke Protestgeneration der 60er und 70er Jahre, wir also, waren die Kinder des Wirtschaftswunders. Reformpolitik war identisch mit Ausweitung des öffentlichen Diensts und steigenden staatlichen Transferleistungen. Noch heute gilt in bestimmten Milieus die Rückfrage „Wie soll das finanziert werden“ als reaktionäres Ablenkungsmanöver, das mit dem Standardhinweis auf die üppigen Unternehmergewinne, den Rüstungshaushalt oder die schweinischen Senatorengehälter zu erledigen ist.

Die „Schönwetterperiode“ bundesdeutscher Politik ist vorbei und wird so bald nicht wiederkommen. Wer vor der Bremischen Finanzkrise die Flucht in den Nordstaat antreten will, wird finanziell nichts gewinnen und die demokratische Qualität einer Stadtrepublik verlieren.

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