: Der Stoßzahn und die Empfängnisverhütung
■ Zweite Berliner Redeschlacht an der Hochschule der Künste: StudentInnen eines Rhetorikseminars argumentieren zur Frage »Wozu braucht ein Kaninchen Stoßzähne?«/ Karotten kontra Mohrrüben bemühen die hohe Kunst der Rhetorik
Hochschule der Künste. Kampflustig sitzt man sich bei 30 Grad im Schatten hinter rot-weiß-gestreiften Absperrbalken gegenüber — im Seminarraum der Kommunikationswissenschaftler ist an diesem verfrühtem Hochsommernachmittag noch nicht mal ein Fenster geöffnet. Aber wer wird schon vom Wetter reden, wenn entscheidende Themen der Weltpolitik zur Diskussion stehen. Karotten und Mohrrüben heißen die Parteien, »Wozu braucht das Kaninchen Stoßzähne?« die Preisfrage, die einzig die gegnerischen Gemüter zu erhitzen vermag. Zum verbalen Schlagabtausch drängeln sich Absolventen des Rhetorikkurses von Holger Münzer auf den Tischen und Stühlen. Die Vorredner der verfeindeten Stämme stützen sich leger auf das Rednerpult und stecken mit provokanten Thesen das jeweilige Revier ab.
Jochen Franken von den Mohrrüben profiliert sich als Rächer der Enterbten: »Neue Möglichkeiten individueller Selbstverwirklichung« gälte es der sozial schwächsten Schicht des Tierreiches, den Kaninchen, per Stoßzahn zu erschließen. Einst zum Beutetier par exellence verdammt, erwüchsen der Rasse jetzt ungeahnte Möglichkeiten zur Notwehr. Ein Mißbrauch dieser individuellen Aufrüstung — »und da liegt das Kaninchen im Pfeffer« — dürfte in aufgeklärten Gesellschaften wie der der Häsinnen und Rammler ein Minderheitenphänomen bleiben.
Daß er das ökologische Gleichgewicht durch seine militanten Hasen gefährde, reibt Justus Kaufhold von den Karotten seinem Kontrahenten unter die sozial-veterinäre Nase. Wortgewandt malt er das Schreckensbild »australischer Verhältnisse« an die Wand, wo das europäische Exporttier zur Plage für Land und Leute wurde. »Sicher kann man auch mit Panzern pflügen und mit Kalaschnikows Kokosnüsse von der Palme holen«, führt er die friedliche Nutzung der Stoßzahnenergie ad absurdum. Die »Spirale der Gewalt« dürfe nicht auch noch ins Tierreich getragen werden.
Jetzt heißt es »Ring frei« für das zahlreich erschienene Parteivolk. Wortmeldungen werden über hochgestreckte Nummern registriert — eine sechsköpfige Jury sammelt derweil eifrig Punkte für argumentative Stichhaltigkeit und verbale Eleganz. Es gilt mindestens drei Preisträger zu küren. Um Ökologie, Militarismus, Überpopulation und das Selbstbestimmungsrecht der Frau als Häsin kreisen die Argumentationen, die man sich wechselseitig um die Ohren knallt. Mal sieht man sich selbst als Repräsentant der Kaninchen, mal äugt man allzu menschlich auf die bedrohte Tierwelt. Die Karotten entpuppen sich als ökobewußte Konservative mit »back to the roots«-Ideologie und gesteigertem Sicherheitsbedürfnis.
Es ist schon beeindruckend, wieviel fiktive Argumente sich an einem absurden Thema herbeizaubern lassen. Gelegentlich muß der Vorsitzende des Präsidiums den hölzernen Fleischklopfer bemühen, um allzu ungestüme Zwischenrufer zur Räson zu rufen.
Daß auch weibliche Kaninchen den Zahn des Anstoßes ihr eigen nennen würden und damit nicht länger »wehrlose Opfer sexbesessener Rammler« seien, wirft eine Mohrrübin in die Runde. Der Stoßzahn als willkommener Beitrag zur Empfängnisverhütung. Der Gutachter vom Kaninchenzüchterverein Unterfranken bemüht dagegen die Geschichtsschreibung: 1968 feierte der »Mutant Stoßzahnkarnickel, unter anderem auch am längeren Deckhaar erkenntlich« seinen Siegeszug durch deutsche Universitäten, dezimierte Überreste fänden sich heute noch im Erdinger Moos und in der Hafenstraße. Ein Beamter vom Dezernat für Nagezahnkriminalität weiß vom Karnickelgreis »Don Elefanto« zu berichten, der mit riesenhaften Stoßzähnen aus der Hasenheide das Bandenunwesen in der Stadt kontrolliert.
Als man nach über zweistündiger Redeschlacht zur Siegerehrung schreitet, ergeht der erste Preis, eine Flasche Deinhard, an Regina Masemann. Mit ihrer Theorie »Aggression als natürlicher Lebensimpuls« hatte sie argumentatives Neuland für die stoßzahnfreundlichen Möhren erobert. Jantje Hannover
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