piwik no script img

Ein Stehplatz im Himmel

Die Brandenburger Montgolfiade 1992: Ballonfahrer heben regelmäßig ab gen Himmelreich, reden von dort beruhigend auf Kuhherden ein und landen als Außerirdische im Nirgendwo.  ■ Aus Wagenitz Olga O'Groschen

Die Leinen los! Wir steigen auf, wir schwimmen ab, wir tauchen ein ins Meer der Luft. Unten ziehen sie den Hut und schauen uns ungläubig nach. Am blauen Himmel eine kleine Wolke, gefüllt mit warmer Luft, so fahren wir dahin. Der Wind trägt uns mit fröhlichen zehn Knoten Richtung Westen. Über Wiesen, Felder, Äcker geht die Fahrt, über Wald und Seen schaukeln wir. So friedlich liegt das Land. Gelegentlich heizt Hermann nach, dann steigen wir ein Stückchen höher in den Himmel und erweitern unseren Horizont.

Klein und kleiner wird Wagenitz, ein Flecken zwischen Nauen und Rathenow. Zur diesjährigen Montgolfiade haben sich etwa fünfzig Ballonfahrer eingefunden. Veranstaltet wird das Treffen von dem ersten Berliner Luftkutscher Reimann, einer legendären Gestalt. Als der real existierende Luftraum über der DDR noch keine Ballons tragen durfte, war er der einzige Berliner, der seine Liebe aufopferungsvoll pflegte. Nun hat er sich eine Flugschule für Ballons in Wagenitz eingerichtet und lockt die Berliner und Brandenburger in die Lüfte. Bürgermeister und Landrat sehen den Aufschwung mit Freude, wittern Touristen und Sponsoren. Sie lassen ein Kinderkarussell heranschaffen, ein Bierzelt aufstellen, trommeln die Dorfkapelle zusammen. Das Bier fließt in Strömen. Seit Tagen stehen die Wagenitzer auf wackligen Beinen und reiben sich verwundert die Augen. Die Ballons aber steigen in den Himmel auf, da ist kein Zweifel möglich.

„Guten Abend, ihr Kühe! Habt keine Sorge, wir fliegen über euch hinweg!“ Die beiden Fahrer lehnen sich über die Reling des Korbes und sprechen beruhigend auf die verunsicherte Herde ein. Wer Kühe in helle Aufregung versetzen will, der nähere sich ihnen von oben. Sie rasen los, wetzen durcheinander, werfen die Beine in die Luft. Doch als sie die menschlichen Stimmen hören, fällt ihnen ein, das kann ja nur der Mensch sein mit seinen komischen Ideen. So senken sie die Köpfe wieder und kauen weiter. Schweine und Pferde sind da empfindlicher. Besonders Schweine neigen zum Herzinfarkt, wenn sie einen Ballon über sich orten. Man muß ihnen lange zureden. Doch schon sind wir weiter, fahren über Brandenburg hin, kommen nach Sachsen-Anhalt. Hermann feuert gelegentlich nach, Markus konsultiert die Route auf der Karte und gibt per Funk dem Verfolgerfahrzeug seinen Standort durch. Die Helfer unten sollen möglichst schon am Landeplatz sein, wenn der Ballon herunterkommt. Ansonsten herrscht in der Gondel das Schweigen der Erfüllung. Die Ballonfahrer schwärmen von dieser unberührten Landschaft ohne Hochspannungsdrähte, Autobahnen, Siedlungen. Ein Hase hoppelt auf. Wir spiegeln uns im See.

Mit einem simplen Trick, mit heißer Luft, schlagen wir der Schwerkraft ein Schnippchen. Doch dieser Trick ist erst zweihundert Jahre alt. Als sich die Herren Montgolfier am 5. Juni 1793 in die Lüfte erhoben, stand den Zuschauern schier das Herz still. Die französische Regierung ließ Plakate in den einschlägigen Gegenden anschlagen, um dem „Erschrecken vorzubeugen, welches solche Erscheinungen im Volke verursachen könnten“. Und nach dem ersten Schreck war alle Welt begeistert: Der Mensch kann wirklich fliegen!

Zwar flog auch Ikarus, und auch der Schneider von Ulm rauschte durch die Luft, doch beide hatten hernach nicht viel zu erzählen. Die Ballonfahrer hingegen heben vergnügt ab, freuen sich an der Aussicht und setzen nach einer guten Stunde möglichst sanft wieder auf. Mittlerweile haben sich die motorisierten Flugapparate durchgesetzt. Doch immer noch ist der Ballon ein ganz eigener Anblick, stille Größe und kindliche Einfalt zugleich. Seifenblase und Luftballon sind seine Geschwister. Er tut niemandem etwas zuleide.

Ein munteres Völkchen sind die Ballonfahrer, eine kleine Gemeinde besessener Genießer. Sechshundert von ihnen gibt es in diesem Land. Meist kommen sie vom Segel- oder Motorfliegen und entdecken den Ballon als einzig wahre Daseinsform. Einer von ihnen gewann zweimal einen Freiflug beim Preisausschreiben und blieb hängen. Seit die Ballons nicht mehr stundenlang mit teurem Helium gefüllt werden müssen, nimmt die Luftgondelei einen neuen Aufschwung. Doch immer noch ist dies eine Beschäftigung für Enthusiasten. Nur zu oft wird der Start verschoben, weil der Wind zu heftig ist, denn bei über zwölf Knoten werden Start und Landung mulmig. Im Verein kostet eine Minute in der Luft eine Mark, dafür muß auf dem Boden geschuftet werden. Fluggäste werden für den horrenden Preis von vierhundert Mark mitgenommen. Andere suchen als Werbeträger ein Auskommen zu finden, steigen dann mit Seifenreklame bei Stadtfesten auf und verlieren allmählich die Lust.

Die Sonne sinkt, so müssen auch wir alllmählich herunter. Wo sind wir überhaupt? Dort hinten in den Stöllner Bergen fiel Otto Lilienthal vom Himmel. Das soll uns nicht passieren. Eine Wiese vor uns, dahinter ein Dorf, die Hitze wird gedrosselt. Dann poltert der Korb auf den Boden, schleift dreißig Meter nach. Flach liegt der Ballon, ist ganz und gar erschöpft. Ein Mückenschwarm fällt über uns her, wir baden in „Autan“. Doch das Fahrzeug der Verfolger ist noch nicht zur Stelle. Wir müssen mit der hiesigen Bevölkerung Kontakt aufnehmen.

„Schönen guten Abend auch“, spricht Hermann freundlich zwei Bauersfrauen an, „wir sind soeben mit dem Ballon gelandet.“ Die beiden nicken verwirrt, ihre Kehlen sind wie zugeschnürt, sie weichen vorsichtig zurück. Sie sind ja nicht blöde, im Fernsehen gibt's dauernd diese Sience-fiction-Filme, wo Außerirdische landen und sich unter das Volk mischen. „Komm, Erna, wir müssen weiter.“ Zwanzigmal schauen sie sich noch um. Wenig später weiß das ganze Dorf Bescheid. Die Außerirdischen werden eingehend besichtigt. In der Altmark seien wir gelandet, „am Ende der Welt, aber ein Bier steht bereit“. Doch die Könige der Lüfte sind auf dem trockenen Land hilflos, das Funkgerät schweigt, und niemand holt sie hier heraus. Erst weit nach Mitternacht wird ein Kurier nach Brandenburg geschickt, die Kollegen im fernen Wagenitz zu alarmieren. Und am nächsten Morgen um halb fünf steigen sie wieder auf.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen