„Ihr Geist lebt im Untergrund weiter.“

■ Ein Gorlebener Hörstück, in dem nicht nur der Geist der alten Wendland-Küche heraufbeschworen wurde

Ohne die Kulisse wäre es einfach ein gut gemachtes Hörspiel gewesen: feinsinnig montiert aus 15 Jahren Leserbriefen und Anzeigentexten der lokalen 'Elbe-Jeetzel-Zeitung‘ (EJZ), eindringlich vorgetragen von LaiensprecherInnen, Solo- und Chorgesängen, unterbrochen durch das Aufstöhnen gequälter Blas- und Streichinstrumente. Der Titel: „Alles gesagt!?“ — die Dramatisierung einer in dieser Breite und Intensität wohl einzigartigen politischen Auseinandersetzung.

Doch im Gegensatz zum reinen Hörspiel war da die gespenstische, gnadenlos schöne Kulisse am lauen Freitagabend an der Gorlebener Endlagerbaustelle.

Wie damals, bei unzähligen Besetzungsaktionen, hatten sich mehrere hundert Gestalten durch den Gorlebener Forst mit staubumwölkten Schritten zur Bohrstelle getastet. In gespannter Erwartung hatte das Publikum nun Stellung bezogen — die einen diesseits der Mauern auf der Abbruchkante eines Sandberges, die anderen jenseits in den Wachtürmen der Endlagerfestung. Der klare Nachthimmel, die mit Scheinwerfern beleuchteten Mauern, die dunklen Umrisse des Lautsprechergerüstes und die langsam in Richtung Bohrturm absteigende Mondsichel waren das einzige, was die BesucherInnen während des nun folgenden anderthalbstündigen „Hörbildes“ zu sehen bekamen — gefiltert durch die rot-grün getönten Pappbrillen, die ihnen am Eingang von maskierten Gestalten wortlos überreicht worden waren. „Das war nicht Kunst, das war unser Leben hier“, kommentierte anschließend ein dreißigjähriger Lüchow-Dannenberger das Hör-Erlebnis, das ihm die Standortbenennung durch Ministerpräsident Albrecht, den großen Treck nach Hannover, die „Freie Republik Wendland“, die Auseinandersetzung um die WAA- Dragahn und den Schock von Tschernobyl in Erinnerung gerufen hatte: „Ich hatte so viel vergessen, das ist alles wieder zurückgekommen. Ich habe das Gefühl, wir sollten jetzt anfangen, diese Mauern da einzureißen.“

Genau das hatten die Autoren aus dem inzwischen ruhiger gewordenem Gorleben-Widerstand mit ihrer Hörbild-Collage wohl bezweckt. Einer der Kernsätze des Stückes mahnte: „Gestern war ich aktiv, heute schweige ich meistens, morgen wohne ich woanders.“ Zur spontanen Erstürmung der Atomfestung kam es am vergangenen Freitag abend nicht. Auf dem Heimweg mögen den TeilnehmerInnen die eindringlich geflüsterten Sätze noch in den Ohren geklungen haben, die nach der Räumung des Dorfes fast auf den Tag genau vor zwölf Jahren in der EJZ erschienen waren: „Die Küche und ein Teil der Einrichtung konnte nicht gerettet werden. Sie wurden gewalttätig unterplaniert. Ihr Geist lebt aber im Untergrund weiter. In den nächtlichen Geisterstunden werden die leicht verbrannten Suppengerüche in die Festung nach oben steigen.“ Gabi Haas