KOMMENTARE: Die Wiederkehr des „Schwedentums“
■ Der Nationalismus wechselt das Standbein
Paradox: Die schwedische Linke ist nationalistisch geworden. Der Chef der Gewerkschaftszentrale Stig Malm bezeichnete die Politik der rechten Regierung in seiner Erster-Mai-Rede gleich fünfmal als „unschwedisch“. Der Rechtsruck zeigt sich auch in einem gewaltigen Anstieg des Interesses für die eigene Geschichte, die von den sozialdemokratischen Regierungen beiseite geschoben worden war.
Poltawa, das Buch von Peter Englund, das von der den Schweden 1709 durch die Armee Peters des Großen zugefügten Niederlage erzählt, wurde inzwischen in 100.000 Exemplaren verkauft. Die Niederlage hatte damals die Großmachtstellung Schwedens beendet. Die Figur des in dieser Schlacht besiegten Königs Karl XII. (er regierte von 1697 bis 1718) wird noch heute von einem wahren Kult umgeben, was beweist, daß nicht nur uns Polen unterlegene Helden ans Herz gewachsen sind.
„Ein halbes Jahrhundert lang haben die sozialdemokratischen Regierungen die Schweden ihres historischen Bewußtseins beraubt, indem sie mit Schulprogrammen manipuliert haben“, findet Brigitta Trotzig, eine bekannte katholische Schriftstellerin. Und Englund meint, die nationalen Symbole seien dem Volk „entwendet“ worden. „In Zeiten der Unsicherheit und Instabilität bemühen sich die Leute, sich an etwas Dauerndes zu halten. Das ist häufig der Nationalismus“, stellt Englund fest.
Charakteristisch für heute ist dagegen, daß der Nationalismus, wie unser Präsident Walesa sagen würde, „das Standbein wechselt“. Konservative, die traditionellen Träger des Nationalismus, verwandeln sich in „gute Europäer“. Zugleich unterstreichen die zumeist aus dem linken Lager kommenden Gegner eines EG-Beitritts das Einmalige des „Schwedentums“. Sie behaupten, Schweden sei nie Teil Europas gewesen und müsse seine Einmaligkeit bewahren.
Unbeabsichtigt beweist Englund aber auch, daß er selbst in einer der Geschichte abgewandten Geschichte erzogen wurde. Er schreibt nämlich, der neue schwedische Nationalismus könne sich nicht in einen Faschismus verwandeln, weil die nationale Flagge jetzt von der Linken getragen werde. Weiß er nicht, daß man zum Faschismus aus verschiedenen Richtungen kommen kann? Der Norweger Vidkun Quisling war Kommunist und begeisterter Anhänger der Oktoberrevolution, aber nach dem Krieg kam er als Bündnisgenosse Hitlers unters Fallbeil. Zbigniew Bidakowski
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