Südafrika: Noch immer Staat der Angst

ai stellt Bericht zu Menschenrechtsverletzungen seit Beginn der südafrikanischen Reformpolitik vor  ■ Aus Johannesburg Hans Brandt

Trotz politischer Reformen beteiligen sich Südafrikas Sicherheitskräfte nach wie vor an politischem Mord und schweren Menschenrechtsverletzungen. Zu diesem Schluß kommt ein Bericht der Menschenrechtsorganisation „amnesty international“ (ai), der gestern in London vorgestellt wurde. Unter dem Titel „Südafrika — Staat der Angst“ sammelte ai zahlreiche Beispiele von Übergriffen der Polizei und des Militärs seit Beginn der Reformen und der Freilassung Nelson Mandelas im Februar 1990. Dabei wirft ai der Regierung Frederick De Klerk Tatenlosigkeit vor. „Wenn die Behörden wie bisher nicht gegen die Gewalt durchgreifen,“ heißt es in dem Bericht, „ist ein demokratischer Übergang in Südafrika ernsthaft gefährdet.“

ai zufolge sind seit Anfang 1990 etwa 7.000 Menschen in Südafrika Opfer politischer Gewalt geworden. Dabei habe der Konflikt zwischen dem Afrikanischen Nationalkongreß (ANC) und der Zulupartei Inkatha eine entscheidende Rolle gespielt. Der Bericht führt eine Reihe von Beispielen an, in denen Angriffe von Inkatha-Anhängern auf ANC-Sympathisanten entweder von der Polizei toleriert oder gar aktiv unterstützt wurden. Dazu gehören Agriffe auf die Slumsiedlungen Swanieville und Phola Park bei Johannesburg, bei denen mehr als 100 Menschen getötet wurden. „Es ist die Pflicht der Polizei, das Leben aller Südafrikaner zu schützen,“ sagt ai. „Der Konflikt zwischen dem ANC und Inkatha ist gekennzeichnet von der systematischen Unterlassung dieser Pflicht.“

Der ai-Bericht betont andererseits, in vielen Teilen des Landes würden andere Kämpfe von der Polizei geschürt, um den ANC zu schwächen. Als Beispiel wird der Konflikt zwischen rivalisierenden Verbänden von Taxifahrern bei Kapstadt angeführt.

„Es gibt offenbar kaum einen Zusammenhang zwischen der Politik der Verhandlungen über ein ,neues Südafrika‘, die auf einer nationalen Ebene stattfinden, und dem Zynismus, Mißtrauen und der Angst, die an der Basis zu beobachten sind,“ heißt es in dem ai-Bericht.

Zwar war das ursprüngliche Ziel des Berichtes, die Rolle der Sicherheitskräfte zu untersuchen. Doch auch der ANC und seine Anhänger hätten in den letzten zwei Jahren „gezielte und willkürliche“ Morde verübt.

„Letztendlich ist es jedoch die Regierung, die durch Kontrolle von Ressourcen und Sicherheitskräften die Pflicht hat, alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um dafür zu sorgen, daß die Menschen ohne Angst in ihren Gemeinschaften leben können,“ heißt es in dem Bericht. ai ruft die südafrikanische Regierung dazu auf, öffentlich die andauernden Übergriffe der Sicherheitskräfte zuzugeben: „Die Regierung muß es deutlich machen, daß alle Mitglieder der Sicherheitskräfte für ihre Taten voll verantwortlich gemacht werden, und daß diejenigen, die Menschenrechtsverletzungen verübt, angezettelt oder unterstützt haben, vor Gericht gebracht werden.“