: Obdachlose in Sozialwohnungen
■ Grüne fordern Druck auf Wohnungsbauunternehmen / Problem Ghettobildung
Fast 5.000 Bremer Haushalte stehen zur Zeit auf der amtlichen Liste der besonderen Wohnungsnotstände. Doch nur rund ein Drittel von ihnen wird in diesem Jahr auch tatsächlich in eine Wohnung einziehen können. Dieses Mißverhältnis ist nicht neu, aber jedes Jahr wird es krasser. Mit welchen Mitteln die Bremer Politik diesen schwerwiegenden — und auch landesverfassungswidrigen — Wohnungsnotstand bekämpfen kann, war gestern Thema eines ganztägigen Hearings, das die Grünen mit auswärtigen Experten, Behörden- und InitiativenvertreterInnen in der Bürgerschaft durchführten.
Den Hauptansatzpunkt einer schnellen Hilfe für den akuten Wohnungsnotstand sah die Sozialpolitikerin der grünen Fraktion, Karoline Linnert, nach dem Hearing in einer Verschärfung des „Bremer Vertrages“ zwischen der Stadt und den gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen. Darin ist bislang lediglich eine freiwillige Selbstverpflichtung der Sozialwohnungsvermieter festgelegt, freiwerdende Wohnungen „mit einer unbestimmten Zahl von Wohnungsnotständen“ zu belegen. Gleichzeitig erklärt die Stadt in dem Vertrag ihren Verzicht auf das Recht, nach dem Wohnungsbindungsgesetz freie Sozialwohnung mit Notstandsfällen zwangszubelegen.
„Wenn sich beim Bremer Vertrag nicht erhablich etwas tut, dann werden wir innerhalb der Koalition dafür eintreten, den Vertrag zu kündigen“, kündigte Linnert gestern an. Auf dem Hearing seien die Wohnungsbaugesellschaften deshalb bereits auf „Hab-Acht-Stellung“ gegangen. Der Vorsitzende der ehemals gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften, der frühere SPD- Bausenator Bernd Meyer, hatte sogar von einer „Drohung mit der Peitsche“ gesprochen.
Meyer hatte sich gegen eine Verschärfung des Bremer Vertrages gewandt, da sie zu einer „Ghettobildung“ in den Sozialwohnungsvierteln führe. „Das Argument ist nicht ganz falsch, aber wo sollen die Leute sonst unterkommen?“, fragte die Stuttgarter Bauökonomin Ruth Becker zurück. Schließlich könne man das Problem auch umgekehrt formulieren: „Wir haben in Deutschland mehr Arme, als unsere Wohngebiete vertragen.“ Denn nicht die Armut, sondern die soziale Vernachlässigung der armen Wohngebiete sei das eigentliche Problem.
Doch auch die ReferentInnen des Hearings, die sich für eine Verschärfung des „Bremer Vertrages“ aussprachen, halten nichts von einer staatlichen Zwangsbelegung der Sozialwohnungen. „Das würde große Widerstände der Wohnungsbauunternehmen erzeugen und zu erheblichen Reibungsverlusten führen“, meinte Wolfgang Grü
Karoline Linnert Foto: Tristan Vankann
ber vom nordrhein-westfälischen Bauministerium. Er setzt eher auf die vorbeugende Bekämpfung der Wohnungsnotstände: „In Köln hat sich herausgestellt, daß es achtmal teurer ist, einem Obdachlosen wieder zu einer normalen Wohnung zu verhelfen, als durch Übernahme von Mietschulden zu verhindern, daß er überhaupt erst obdachlos wird.“
Um das im Bremer Koalitionsvertrag festgelegte Ziel der Vermittlung von jährlich 3.000 Wohnungen an Haushalte mit akutem Wohnungsnotstand zu erreichen, müßten künftig noch mehr als die bereits von der Ampel angepeilten 60 Prozent aller freiwerdenden Sozialwohnungen vorrangig an Notfälle vergeben werden, rechnete Karoline Linnert auf dem Hearing vor. Und von den
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16.000 bis zum Jahr 2000 zu bauenden Bremer Wohnungen müßten mindestens 11.000 als Sozialwohnungen entstehen.
Und um kurzfristig zumindest diejenigen Wohnungssuchenden schnell in Wohnungen zu vermitteln, die ansonsten weiterhin dringend benötigte Plätze in Übergangswohnheimen, Psychiatrie oder Frauenhäusern besetzen, sollte das Kriterium des Wohnungsnotstandes verändert werden. Rund ein Viertel aller Haushalte hat den amtlich bescheinigten Wohnungsnotstand bescheinigt bekommen, weil ihre bisherige Wohnung einfach zu klein ist. Sie, so der Vorschlag der grünen Sozialpolitikerin, sollten künftig nicht mehr als Wohnungsnotstand geführt werden. Ase
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