Das Neuste kommt aus Frankreich

■ Das 2. Festival »Jazz across the border« beginnt heute im Haus der Kulturen der Welt — bei Regen im Saale

Der Jazz hat den steinigen Garten der Nationalgalerie verlassen und findet in diesem Sommer zum zweiten Mal unter der Obhut des Hauses der Kulturen der Welt statt. Aus Jazz in the garden wurde Jazz across the border. Bedingt durch eine zu kurze Vorbereitungszeit hatte man im letzten Jahr die Bands an nur zwei Wochenenden konzentriert vorgestellt, was zu typischen Festivalranderscheinungen wie Kopfschmerz, Langeweile, Abgespanntheit oder Magenknurren führte. Glücklicherweise hat der Festivalleiter Guenther Huesmann sich wieder auf den traditionellen Jazz in the garden-Freitagstermin um 18 Uhr besonnen. Programmatische Übereinstimmungen mit der Vorgängerreihe wären dagegen wohl eher zufällig.

Huesmann versucht bewußt, nicht die großen Namen und Zugpferde des Jazz zu liefern. Er will sich nach eigenen Worten nicht an dem »Tourneekarussell« beteiligen, das das Bild der diversen Sommer-Jazzfestivals mit immer den gleichen Musikern beherrscht. Der Aufwand wird dadurch allerdings größer: Außerhalb des eingespielten europäischen Festivalmarktes müssen Bands extra für einen Auftritt eingeflogen werden. Auf Megastars, die in Berlin so gern vom JazzFest anonciert werden, um die Philharmonie aufzufüllen, muß Jazz across the border schon allein des Etats wegen verzichten. Dieser beläuft sich auf 190000 Mark, von denen ein großer Teil durch Eintrittsgelder hereingeholt werden muß — der Kultursenat läßt nur magere 70000 springen.

Statt modebewußt amerikanischen Neo-BeBop zu präsentieren, setzt Huesmann auf eine europäische Zentrierung seines Festivals. Die interessantesten Neuerer sieht er in Frankreich. Deshalb stammt an den vier Freitagen jeweils die erste Band aus Paris. Nur am letzten Spieltag, ausnahmsweise ein Samstag (4.7.), wird man weitgehend ohne Franzosen auskommen müssen. Stattdessen ein Dreierset mit dem Quartett des Londoner Pianisten Julian Joseph, ein Percussionquartett des Südkoreaners Samul Nori, der neben den Konzerten einen viertägigen Trommel- Workshop betreuen wird, und das John Patitucci Quartet aus Los Angeles. Patitucci durfte seinen sechssaitigen E-Bass schon vor den zarten Ohren Chick Coreas in dessen Electric Band zupfen, spielte mit Michael Brecker und Stan Getz.

Das Thema »Strings« zieht sich leitmotivisch durch die fünf mal drei Konzerte des Programms. Brummende und schnarrende Saiten sind zu erwarten von dem Drehleierspieler Valentin Clastier, der einst Jacques Brel begleitet hat. Die Berliner Brachialcombo Slawterhaus bringt den illusteren Experimental-Violinisten Johannes Rosenberg ins Spiel — und meinem Lieblingskrachschlagzeuger Peter Hollinger aus der Adalbertstraße (beide Bands 3.7.). Der für den 26.6. angekündigte Toumani Diabate, ein Kora-Spieler aus Mali, wird leider nicht auftreten, ein „gleichwertiger“ Ersatz stehe aber bereit, Namen wollte Huesmann noch nicht nennen.

Am heutigen ersten Tag wird man das Quartett der New Yorker Pianistin und studierten Musikethnologin Geri Allen hören, von der behauptet wird, sie funktioniere den Flügel um in eine »Kora«-Laute mit 88 Tasten. Zweite Band des Abends ist die Berlin-Paris-Mailand-Connection BakaMutz, auf deutsch: Kaspar Mütze. Damit die sensibelen Berliner Jazzer sich nicht mehr wie anheizende Vorgruppen vorkommen, treten Berliner Formationen heuer frühestens als zweite auf.

Eröffnet wird die Reihe auf dem der Spree zugewandten Terassendach des Hauses der Kulturen vom Andy Emler Megaoctet aus Frankreich. „Mega“ nicht nur wegen der achtköpfigen Besetzung um den Keyboarder und Kompositeur Emler, sondern auch, weil in der Mini-Bigband megamäßig viele Stile zusammenfließen sollen. Kritiker nennen Emler den Alchimisten der Stile, hören Bartok, die Beatles, Frank Zappa, Free Jazz und alles mögliche aus seinem Megasound heraus.

Bleibt nur noch auf schönes Wetter zu hoffen. Sollte der Freitagsregenfluch, der über dem Jazz in the garden-regelmäßig hing, wieder Wolken schicken, bleibt immer noch die Flucht in den großen Saal der ehemaligen Kongreßhalle. Andreas Becker

Heute 18.00 Uhr auf dem Terrassendach des Hauses der Kulturen der Welt: Andy Emler Megaoctet, BakaMutz, Geri Allen Quartet; Eintritt 20 Mark