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„Mit der Verschwendungssucht aufhören“

Das „Global Forum“ leidet unter seiner Vielfalt, Kirchen und Unternehmer tummeln sich neben Umweltverbänden/ Finanzkrise ist überwunden  ■ Aus Rio von Astrid Prange

„Werbung ist wie Sex. Sie ist nicht von sich aus schlecht. Man muß es nur richtig machen.“ Ted Turner, frisch verheirateter Besitzer des Privatfernsehens CNN, gibt kluge Ratschläge von der Sonnenseite des Lebens. Die Macht des amerikanischen Medienzars zieht die Teilnehmer des alternativen Umweltgipfels „Global Forum“ in Rio de Janeiro in den Bann. Das Zelt Nummer 23 ist bis auf den letzten Platz besetzt, die Kameras surren. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied zum normalen Fernsehpublikum: Die Umweltschützer lassen sich von Turners Show nicht so leicht einwickeln.

„Auch wenn es umweltfreundliche Produkte sind, die Werbung predigt den ,american way of life‘, der die Umwelt zerstört“, kritisiert ein Bolivianer den erfolgreichen Selfmademan, der behauptet, sich schon seit 40 Jahren für die Umwelt einzusetzen. „Es geht nicht darum, ein Produkt durch ein anderes zu ersetzen, sondern mit der Verschwendungssucht aufzuhören.“ Turner muß klein beigeben. Doch dann holt er zum Gegenschlag aus: „Erst mal müssen wir die Leute versorgen, die bereits auf der Erde leben. Wir sollten Sex genießen, ohne dabei Babies zu zeugen“, kontert er.

Hätten sich Liebespaar Ted Turner und Jane Fonda ins benachbarte Zelt elf, auf den „Frauenplaneten“ (Planeta Femea) gewagt, würden sie eines besseren belehrt. „Wir verbrauchen alles, aber ihr sollt kontrolliert werden“, steht dort auf einem Plakat, auf dem die Computergesellschaft über die Hungernden in Afrika triumphiert. Seit der Eröffnung des Global Forums am 2. Juni debattieren dort Frauen aus aller Welt über ihre Schwierigkeiten.

Ziel der Verhandlungen auf dem Global Forum ist es, bestimmte Grundsätze und künftige Verhaltensweisen der NGOs in Verträgen festzuhalten und sich weltweit zu vernetzen. Die Themen der 31 „Treaties“, die zur Zeit ausformuliert werden, decken eine riesige Palette ab: Frauen, Artenvielfalt, Schuldenproblematik, Ethik und alternative Wirtschaftsmodelle. „Die Treaties legen die Richtlinien für unsere Basisarbeit fest. Es ist etwas, was wir mit nach Hause nehmen“, erklärt Barbara Bramble von der „National Wildlife Federation“ aus Washington.

Wangari Matthai ist von dem geschäftigen Treiben auf dem Global Forum begeistert. Wie die meisten Vertreter der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) hat sie den Glauben an die Regierungen bereits verloren — eine Ansicht, die auch Medienstar Turner teilt. „Die Änderungen für eine bessere Welt müssen von jedem einzelnen ausgehen, von den Regierungen können wir nichts erwarten“, sagt er. Die Begründung dafür scheint ihm Ehefrau Fonda ins Ohr geflüstert zu haben: Erstens seien die Regierungsvertreter fast alles Männer und zweitens auch noch alte.

Der Lobgesang auf das Forum Global, angeführt von UNCED-Generalsekretär Maurice Strong, ist bitter nötig. Noch vor zwei Tagen wurde das Treffen der NGOs von Finanzschwierigkeiten und einer Diffamierungskampagne geplagt. Die Tontechnikfirma „Hoffmann“ schaltete für sieben Stunden Mikrophone und Simultanübersetzung ab, um ihre offenen Rechnungen bezahlt zu bekommen. Die fehlenden 2,3 Millionen Dollar, mit denen das Global Forum bei seinen Ausstattern in der Kreide stand, trafen Mittwoch nacht ein. Kanada, die Bundesrepublik, Österreich, eine brasilianische Bank und Fernsehanstalt erklärten sich bereit, die Rechnungen zu begleichen.

Erschwerend kam hinzu, daß der Organisator des Forums, Warren Lindner, von der brasilianischen Zeitung 'Estado de Sao Paulo‘ in einen Korruptionsskandal verwickelt wurde. Der Vorwurf entpuppte sich allerdings zwei Tage später als Ente. „Demoralisierung gehört für uns in Brasilien zum Alltag“, sagt Mary Allegretti, Vorsitzende des Instituts für Amazonasstudien (Iea) aus Curitiba. Die „Global 500“-Preisträgerin vermutet, daß den großen Firmen, besonders aus Sao Paulo, die Rio um die Konferenz beneiden, der Erfolg der NGOs ein Dorn im Auge ist.

Auch für WWF-Vertreter Konrad von Moltke gehört die „Verschwörungskampagne“ in die „Schublade brasilianische Innenpolitik“. Dazu rechnet er auch die ausführliche Berichterstattung der brasilianischen Medien über den Caiapo-Häuptling Paiakan, der beschuldigt wird, im Alkoholrausch seine weiße Nachbarin vergewaltigt zu haben. „Es geht hier zum ersten Mal ans Eingemachte“, meint er. Dennoch sieht Moltke, abgesehen von den „Auseinandersetzungen unterhalb der Gürtellinie“, im Bereich Umweltpolitik „irre Fortschritte“. „Vor zwei Jahren konnte man das Thema überhaupt nicht ansprechen“, erinnert er sich. Jetzt sei Umweltpolitik für die brasilianische Regierung keine Hoheitsfrage mehr.

Dennoch lösten die finanziellen Probleme eine Identitätskrise des Global Forums aus. Was haben zum Beispiel Bergbaufirmen wie das brasilianische Staatsunternehmen „Vale do Rio Doce“, die Weltbank oder evangelische Sekten auf einer Pararellelveranstaltung zur UNCED zu suchen? wollten Kritiker wissen. Peter Mucke von „Terre des hommes“ erinnert das kunterbunte Happening im Flamengopark eher an einen Kirchentag in Deutschland. Der Grund für die Vielfalt erklärt sich seiner Meinung nach durch die zu allgemein gefaßte Definition von NGOs: „Für die UNO ist alles, was nicht zur Regierung gehört, NGO, also auch Kirchen und Unternehmer. In Deutschland zählt man dazu eher Verbände und Pressuregroups.“

Russell Mittermeier, Vorsitzender der US-NGO „Conservation International“, findet die institutionelle Vielfalt auf dem Global Forum genauso wichtig wie die Artenvielfalt, über die im „Riocentro“ verhandelt wird.

„Es ist leicht, zynisch zu sein“, hält er den Kritikern entgegen. Doch auch er leidet unter dem Saugeffekt des 40 Kilometer entfernten Riocentro: Während des Conservation-International-Workshops über Biosphäre, mußten sich zwei Teilnehmer der Podiumsdiskussion frühzeitig verabschieden.

„Wir sind immer zwischen Global Forum und Riocentro hin- und hergerissen“, räumt auch WWF- Vertreter Moltke ein. Dennoch hätten es die Politiker nicht geschafft, das Treffen zur Spielwiese zu machen. Ganz im Gegenteil: „Es gibt eine Solidarität unter der Vielfalt der NGOs. Die eine Krähe hackt nicht die Augen der anderen aus.“

Die Cariocas, wie sich die Einwohner Rios nennen, haben das Treffen für sich entdeckt. Schulklassen und Pfadfinder pilgern reihenweise durch den Flamengopark und hinterlassen ihre Botschaft am „Lebensbaum“, an dem bereits über 200.000 Umweltbitten pinnen. Am Wochenende bummeln die Familien aus der Mittelschicht an den Ständen der 7.650 NGOs aus 165 Ländern vorbei. Wer weiß, ob man nicht zufällig einem Kinostar wie Roger Moore oder der Schauspielerin Jane Fonda über den Weg läuft? Im Flamengopark wimmelt es nur so von Preisträgern und Prominenten.

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