: Mein Gott, Fücks: Du machst den Frieden mit der Reaktion
■ Eine Antwort des ehemaligen Senators Horst-Werner Franke auf das Plädoyer von Ralf Fücks „wider den alternativen Kleinmut“, taz—Bremen vom 6.6.92
Wie die Antwort der Bremer Grünen auf die Krise des Zwei-Städte-Staates ausfällt, wissen wir noch nicht. Wie Ralf Fücks, der noch immer als ihr Vordenker gilt, sich der Herausforderung stellen wird, wissen wir seit Pfingesten, da stand es in der taz: Kleinmut gilt nicht, dennoch die Schwerter gekreuzt und weitergemacht. Durchhalten wird zum Wert an sich. Die Zeiten sind ohnedies hart und öffentliche Armut wird nicht nur in Bremen normal. Ach Ralf, ist heroischer Nihilismus, des deutschen Bürgers letzte Trutz, auch deines politischen Wachstums letzter Gipfel? Ganz nüchtern und ohne Sprüche, wie es grüne Art sein sollte?
Wer die letzte Spardekade im Senat mitgemacht hat, glaubte an den Sinn einer bremischen Durststrecke. Bund- und Ländersolidarität würden den Förderationsexoten retten müssen, weil ihn schließlich die Verfassung gewollt hat. Durchhalten macht Sinn, weil Karlsruhes Erlösungswort die Not beenden würde. Dieser Glaube ist zuschanden geworden. Karlsruhes allerletztes Wort bringt keinen Trost. Zu Bremens Zukunft fällt auch roten Roben nichts mehr ein. Natürlich ist Bremen nach wie vor verfassungsrechtlich Wirklichkeit, der jedoch die materielle Existenzgrundlage fehlt.
Karlsruhe sagt nun allen, die es angeht: Entweder verschafft ihr Bremen die Finanzen oder ihr schafft es ab. Wer welche Summe wann für Bremen zahlen soll, bleibt offen. Karlsruhe ist kein Politikersatz. So ist das Urteil am Ende nicht mehr, als die Aufforderung, etwas zu tun.
Der Fall Bremen mündet in die gesamtdeutsche Krise ein und muß mit ihr bewältigt werden. Solange wir im deutschen Weststaat die Ärmsten waren, machte es Sinn, auf eine Sonderregelung zu setzen. Nun geht die Bremer Not in der gesamtdeutschen Not auf, die in zwei Jahren über Bund und alle Länder einbricht, wenn die Westländer sich nicht mehr gegen die Ostländer abschotten können und eine gesamtdeutsche Finanzverfassung Wirklichkeit werden muß. Wie die Föderation aussehen wird, die den neuen deutschen Gesamtstaat dereinst bildet, weiß noch keiner. Es werden jedenfalls weniger Länder sein als jetzt.
Bremen täte gut daran, sich darauf einzustellen. Die besondere Rettungsaktion für Bremen, an die wir vor der Wende glauben durften, ist jedenfalls perdu. Jetzt müssen Überlebensformen gefunden werden, die irgendwo zwischen souveränem Bundesland und kreisfreier Stadt angesiedelt sind. Vielleicht ist Grobeckers Vision vom Port Autonom nach niederländischem Vorbild wirklich eine Lösung. Der Junge brütet jedenfalls Ideen aus, die mehr sind, als wertkonservatives Bekenntnis zu einigen Jahrhunderten Stadtgeschichte. Mein Gott, Fücks, wer hat das nicht: Lübeck, Köln, Frankfurt, Nürnberg, um ein paar große nur zu nennen. Stadtkultur und Stadtfreiheit entwickeln sich in Deutschland seit dem Freiherrn von Stein nicht nur reichsunmittelbar.
Natürlich ist small beautiful, erst recht für Grün. Wer den Aufwand, den Reformpolitik nun einmal verlangt, als wirtschaftswunderliches bloßes Mehr-Geschrei diffamiert, macht seinen Frieden mit der politischen Reaktion, die immer so gedacht hat. Privater Reichtum und öffentliche Armut ist gute alte liberale und konservative Sitte. Wer etwa Lehrer einspart und Schulklassen vollstopft mit 27 Schülern oder mehr, der muß Behinderte weiter separieren, der braucht halt seine Sonderschulen und bringt am Ende von vier vollen Grundschulklassen nur die auf das Gymnasium, die sich durchsetzen konnten.
Ich kannte einmal einen Fücks, der vehement dagegen stritt, Bremen über immer weiter abgesenkte Stadthaushalte retten zu wollen. Der hielt uns damals vor, daß man der strukturellen Schwäche so nicht beikommen kann. Zwar gilt das nach wie vor, doch der Senator Fücks will Bremens öffentlichen Aufwand noch weiter runterfahren. Wer das für richtig hält, soll alle dummen Sprüche lassen, die solche öffentliche Not ins positive wenden.
Grün ist mit Fücksens Trost in die Ampel gegangen, jetzt würde zwar gespart, doch dabei würde umverteilt und aufgabenkritisch neuer Sinn in Bremens Politik gebracht. Nichts ist von den gar nicht alten Schwüren eingehalten worden. Nur, daß gespart wird, allgemein. Und selbst der eine unbestrittene Wert, daß eine Stadtrepublik demokratische Qualität besitzt, ist längst dahin. Kein Grüner wird im Ernst das Meeting von drei dutzend Unerschütterlichen, auf das die Ampel Grün eingeschmolzen hat, als überschaubare Größe preisen.
Horst-Werner Franke, Bildungssenator a.D.
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