: Brisanz total verharmlost
■ »Der Profi« von Dusan Kovacevic auf der Probebühne in Potsdam
Möchte das Potsdamer Theater, daß wir mit Stasi-Spitzeln Mitleid haben? Sollte das der Fall sein, dann: weiter so!
Die aktuelle Inszenierung dieses Hauses, Der Profi von Dusan Kovacevic, könnte ein spannender Abend sein: Theodor Kraj (Gerd Staiger), der Cheflektor eines großen Verlages, der diese Position erst seit kurzem innehat, erhält an seinem 55.Geburtstag eigentümlichen Besuch. Ein Mann, etwa in seinem Alter und ihm unbekannt, dringt förmlich in sein Büro ein und hat erstaunliche Überraschungen parat. Er weiß nicht nur Details aus Theos Leben, sondern breitet außerdem vier in Leinen gebundene Bücher aus. Sie enthalten Texte von Theo, die dieser nie zu veröffentlichen wagte. Der Zusammenhang wird schnell klar: Lukas Laban (Roland Kuchenbuch) ist ein Stasi-Mann a.D. Seine Aufgabe war es achtzehn Jahre lang, Theo auf Schritt und Tritt zu verfolgen, jedes seiner Worte mitzuschneiden und später in einem Dossier zu verewigen. Zwei Gründe haben ihn in das Arbeitszimmer seines ehemaligen »Falles« geführt. Erstens: Im Zuge der Wende ist Lukas entlassen worden. Er arbeitet inzwischen als Taxichauffeur. Zweitens: Er möchte eine Art Vermächtnis seines Sohnes erfüllen. Dieser hatte ihn seinerzeit dazu gedrängt, die Texte Theos zu Büchern zusammenzustellen. Später geriet er in Schwierigkeiten mit dem System und verließ das Land. Seitdem hat ihn Lukas nicht gesehen.
Theo findet sich in der Situation wieder, ein Drittel seines Lebens neu bewerten zu müssen. Ihm wird bewußt, daß ein völlig Fremder nicht nur über ihn berichtet hat, sondern sogar sein Leben maßgeblich beeinflußte.
Aus unerklärlichen Gründen gibt sich der Autor des Stückes nicht damit zufrieden, die Geschichte dieser beiden Männer in Dialoge zu fassen. Statt dessen ist der Text als Rückblende des Theodor Kraj aufgebaut. Der Schauspieler erzählt, was sich an jenem Vormittag ereignete, und danach spielen er und seine Kollegen die vorab gesprochenen Regieanweisungen. Diese Verfahrensweise zieht sich über den gesamten Theaterabend. Dadurch kommt in dieser Inszenierung überhaupt niemand zum Spielen, weil alles nur schrecklichstes Illustrationstheater ist, wie es seit den Produktionsstücken der fünfziger Jahre auf DDR-Bühnen nicht mehr zu sehen war! Völlig schleierhaft bleibt, warum der Regisseur (Bernd Weißig) diese Zwischentexte nicht einfach gestrichen hat. Statt dessen läßt er die Schauspieler auf eine Art und Weise ins offene Messer laufen, die unverantwortlich ist. Außerdem — und das ist sehr gefährlich — wird das Stück in ein sentimentales Rührstück verkehrt.
Die Dramaturgie macht sämtliche theatralischen Vorgänge unmöglich. Es kann keine Spannung aufgebaut werden, und es kann keine wirkliche Auseinandersetzung stattfinden. Zwischen diesen beiden nicht mehr jungen Männern passiert so viel — von Sprachlosigkeit bis zum blanken Haß reicht das Spektrum menschlicher Verhaltensmuster. Auf der Probebühne in Potsdam steht am Ende der Täter als das arme Schwein da, das seine Existenz verloren hat. Das Opfer schaut ihm nach und geht dann zur Tagesordnung über: Er schreibt das gerade Erlebte, das Lukas auf einem Kassettenrekorder mitgeschnitten hat (einmal Profi, immer Profi!), in die Maschine.
Gute Gegenwartsstücke sind selten und Stücke, die diese Problematik verarbeiten, so gut wie gar nicht zu finden. Gerade in der jetzigen Phase der Stasi-Unterlagen-Debatte ist es um so unverzeihlicher, dieses Stück derart zu verharmlosen. Sibylle Burkert
Nächste Vorstellung am 15.6. auf der Probebühne, Zimmerstraße13, 19.30 Uhr
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