Ein bißchen mehr, bitte!

■ Die »Märchenprinzen« mit ihrem Programm »Die Tyrannei der Intimität« im BKA

Zwei Märchenprinzen im Sonderangebot! Zwei zum Preis von einem, nämlich zu sagenhaften 19,89 DM. Unglaublich! Phantastisch geradezu. Ein klassischer Fall für die innere Stimme, die einen immerzu mit einem gebrüllten »Kaufen! Kaufen! Kaufen!« tyrannisiert. Und dann, spätestens zu Hause, folgt die Ernüchterung: Wo ist das besondere Etwas, das man noch beim Zahlen an der Kasse gesehen hat? Wo die Qualität, die den »sagenhaften« Preis rechtfertigen würde? Wo, wo, wo? Ach, es dürfte ruhig ein bißchen mehr sein. So war mir denn auch zumute, als ich nach zweieinhalb Stunden Kabarett im BKA wieder auf die Straße trat.

Die Tyrannei der Intimität wurde dargebracht von zwei + einem Märchenprinzen, die aus München angereist kamen. Angepriesen als obiges Sonderangebot zu 19,98 waren Wolfgang Kröper und Dietrich Krauß, musikalisch begleitet von Alex Haas. Nun — ungeachtet der Tatsache, daß die Gattung »Märchenprinz« seit gewissen, literarisch mehr oder weniger geistreichen Abhandlungen ihr Dasein im Jenseits fristet, klang der Titel verheißungsvoll. Männer, befaßt mit dem Thema der Geschlechterverhältnisse, erwarte ich. Ob es sich dabei gar um die »neuen« 'Spiegel‘-Männer handelt, die den Feministinnen den Kampf angesagt haben (ha, daß ich nicht lache— das ist doch die alte Nummer)? Her damit! Gerne lass' ich mich da tyrannisieren.

Aber nichts, meine Hoffnungen blieben unerfüllt. Die Tyrannei der Intimität dreht sich vorwiegend um Jünglinge, die stolzgeschwellter Brust und mit der Elitequalifikation »Abitur« (siehe 'Spiegel‘) in der Tasche der ganz steilen Karriere harren und irgendwann beim Ferienjob auf dem Bau postpubertär mit einem desorientierten Selbst hadern. Nichts gelernt in der Penne, jedenfalls nichts fürs Leben (gähn).

Dennoch: Die Nummern laufen wie geschmiert: Ein blasser Bursche mit hohenlohischem Breitmauldialekt (eine Sonderform des Schwäbischen, die derzeit im Sterben liegt, erfahren wir), obendrein aus einem der ewiggestrigen linksintellektuellen Elternhäuser, der sich in der »Veschber«-Pause bildungsbürgerlicher Kacke von Schiller widmet (merke: Die Hesse-Phase ist überwunden, und Siddharthas »alles ist im Fluß« wird nun als »alles geht den Bach runter« gelesen), dieser Frischling gerät an einen Chef, der Paline liest und zum Einstand zwei Kästen Bier und 30 Lkws (für Nichtschwaben: Leberkäswecken bzw. Brötchen) verlangt.

Seit vier Jahren geben die Märchenprinzen Gastspiele an Kleinkunstbühnen in Deutschland und Österreich. Sie wurden einige Male preisgekrönt, wie es sich für Prinzen gehört, und bekamen von Jurymitglied Sigi Zimmerschied diagnostiziert, die »Kommerzialisierung der Protestbewegung auf expressiv- anarchistische Weise darzustellen«.

Ja dann, wenn das so ist... dann kann es doch gar nicht sein, daß ich mich ein bißchen mit Langeweile herumschlage. Das muß wohl an mir liegen. Wohl kann ich lachen, sehe die Spitzen und gezückten Krallen, die sich gegen alles und jeden richten. Gegen Eltern, die ihre Sprößlinge am liebsten schon im Säuglingsalter zum Hochbegabtentest schicken würden, gegen das piepsige Pop-Püppchen Madonna und ihre alternden Verehrer, die eine musikalisch verkorkste Jugend hinter sich haben (mit Grobschnitt et al.). Sie stempeln die RAF zur radikaldemokratischen Terrorpartei mit aalglattem Pressesprecher, die das ganze Jahr über Wahlkampf betreibt — schließlich sind überall ihre Konterfeis (die werden ja auch nicht älter) zu sehen.

Die Jungs auf der Bühne sind sich auch nicht zu schade, in ausgeleierte Schießer-Schlüpfer zu steigen, die nichts mit den derzeit wieder angesagten Feinripp-Dessous gemein haben. Ein Abend der Rollen- und Identitätswechsel. Wie im richtigen Kaufhaus. Daher auch meine Langeweile. Die Märchenprinzen haben aus den Wühltischen der linksalternativen Kabarett-Szene wahllos herausgegriffen und zusammengebastelt, was gerade im Angebot war. Das Ergebnis: so und ähnlich schon oft an jeder Stange gesehen. Das heißt nicht, daß gar kein Schnäppchen dabei war, aber die individuelle Note fehlte. Was hilft da schon, daß die drei Prinzen in Unkenntnis des grassierenden Schwabenhasses hier in Berlin so unverfroren ihren Dialekt exhibitionierten, daß nur ein Pärchen in der Pause das BKA verließ, weil das G'schwätz durchaus Charme hatte? Nicht viel, der Dialekt allein rettet nicht darüber hinweg, daß schauspielerische Qualitäten, dramaturgisches Arrangement und gestaltendes Tempo nur ansatzweise ausgefeilt eingesetzt wurden. Wie in der Nummer des DDR-nostalgischen Ehepaars zum Beispiel, das auch zwei Jahre nach Mauerfall noch masochistisch das Ausgeliefertsein an DDR-Grenzer nachspielt. Mit der Mutter als stumm-bösem Grenzer und dem Sohnemann als Republikflüchtling Erich im Kofferraum. Das war urst schau. Petra Brändle

Nächste Vorstellungen: 18.-22.6., 20.30 Uhr, im BKA