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Serbiens Opposition sucht Gespräch

Einerseits sollen Demonstrationen und Streiks das Regime unter Druck setzen, andrerseits verhandelt die Opposition mit dem Präsidenten/ Der Waffenstillstand in Sarajevo soll heute beginnen  ■ Aus Belgrad Roland Hofwiler

Mehr als 15.000 Demonstranten forderten am Sonntag nachmittag vor dem Parlament in Belgrad den Rücktritt des serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic. „Geh weg“ und „Wir brauchen keinen Führer“ rief die Menge, die von der orthodoxen Kirche zu dieser „Friedensprozession“ aufgerufen worden war.

Die serbische Opposition, zu der jetzt die Kriche gehört, verfolgt eine Doppelstrategie. Hinter den Kulissen wird auch verhandelt. Heimlich haben sich am Wochenende mehrere populäre Persönlichkeiten aus dem Kreis der orthodoxen Kirche und der Serbischen Akademie der Wissenschaften mit Milosevic getroffen, angeblich um einen „Kompromiß“ zu finden. Der oppositionelle Stadtsender „B-92“ berichtete, selbst die Schriftsteller Dobrica Cosic und Matja Beckovic, die auch führende Mitglieder der neuentstandenen Sammelbewegung „Demokratische Bewegung Serbiens“ sind, seien mit Milosevic zusammengetroffen. Wenn kein Kompromiß gefunden wird, sollen ab heute weitere Massendemonstrationen und Streiks folgen. Studenten der Belgrader Universitäten wollen auf jeden Fall einen Hungerstreik bis „zum Sturz Milosevics“ beginnen. In manchen Fabriken soll ein „unbefristeter Generalstreik“ ausgerufen werden. Selbst die „Demokratische Partei“ ist sich uneins darüber, ob nicht auch ein Kompromiß mit Milosevic möglich wäre. Zoran Djindjic, der Vizepräsident der Partei, zeigt sich pessimistisch, was die Aktionseinheit mit den in Serbien lebenden Minoritäten betrifft. Er sieht im derzeitigen Belgrader Klima keine Brücken zu den Kosovo-Albanern, den Muslimen im Sandzak und den Ungarn und Kroaten in der Wojwodina. Weder Milosevic noch die Opposition sei in der Lage, das übersteigerte serbische Nationalgefühl soweit zu relativieren, daß „man die politische Kooperation mit den Minderheiten suchen könnte“.

Beunruhigend sind die Nachrichten aus Kosovo. Dort soll am Freitag ein serbischer Soldat ermordet worden sein. Die Reaktion aus Belgrad kam promt: In Djakovica durchsuchten Spezialeinheiten der Polizei unter „Schutz militärischer Einheiten“ Haus für Haus. Und wie blank die Nerven selbst in Belgrad liegen, zeigt der Pistolenschuß auf die 'Times‘-Korrespondentin Desa Trevisan, der sie an der Hand verletzte. Sie wurde wegen ihrer angeblichen „serbienfeindlichen“ Berichterstattung schon vorher bedroht.

In Bosnien war es dagegen nach Berichten des „Sarajevoer Rundfunks“ am Wochenende „relativ ruhig“. Daß die einseitig von den serbischen Verbänden ausgerufene Waffenruhe für die bosnische Hauptstadt in der kommenden Woche tatsächlich halten werde und so der Flughafen von der UNO zur entmilitarisierten Zone erklärt werden kann, bezweifelt der Sender allerdings. Nach den bosnischen Politikern sei die Waffenruhe der Serben nur ein Trick um den Nachschub mit neuen Waffen nicht zu gefährden. Radio Sarajevo: „Die Entscheidungsschlacht um Sarajevo ist noch nicht vorüber.“

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