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Kannibalen unter sich

Jon Amiels Vargas-Llosa-Verfilmung „Julia und ihre Liebhaber“  ■ Von Christiane Peitz

Der Mann bewegt sich nicht, er gestikuliert. Braucht nur ein Zimmer zu betreten, und schon ist es ein Auftritt. Rauft sich das Haar, blinzelt, schwingt Reden — immer eine Spur zu groß, zu verkniffen, zu laut. Alles Theater. Sein Lieblingsthema: Die Kunst und das Leben. Die verhalten sich zueinander wie „zwei Kannibalen auf einer einsamen Insel“, wie er seinen jugendlichen Kollegen belehrt. Bleibt die Frage, wer von wem zehrt und ob die beiden Kampfhähne sich überhaupt trennen lassen: Welche Liebe kommt schon ohne Szenen aus?

Pedro Carmichael (alias Peter Falk) schreibt Seifenopern: Drehbücher für die Radioserie „Die Könige der Gartenstadt“, mit jugendlichen Liebhabern und eifersüchtigen Schwiegermüttern, Herz, Schmerz, Mord und Happy-End. Wir sind in New Orleans, Anfang der fünfziger Jahre; die Nation lauscht gebannt, die Einschaltquoten steigen, und die Albaner — in der „Gartenstadt“ die Inkarnation des Bösen — protestieren vorm Rundfunkgebäude. Carmichaels Erfolgsgeheimnis: die Wirklichkeit. Wenn ihm die Dialoge ausgehen, besorgt er sie sich kurzerhand von den echten Familientragödien. Fragt sich nur, siehe oben, wer deren Drehbücher schreibt.

Zum Beispiel Martin (Keanu Reeves), der 21jährige Kollege, der von der Schriftstellerei träumt und Nachrichten schreibt — was ja vielleicht auch dasselbe ist. Als seine Tante Julia (Barbara Hershey), mit 35 Jahren und zweimal geschieden das schwarze Schaf der Familie, aus New York zu Besuch kommt, verliebt sich Martin bis über beide Ohren. Die Folge: feuchte Hände, gestotterte Leidenschaft, Leinwandkuß, Eifersuchtsdrama, Skandal bei den Eltern, kurz — eine Romanze, wie Carmichael sie schöner nicht erfunden haben könnte und deren Verlauf er kräftig manipuliert. Den Dialogen zuliebe. Die Neville Brothers und die Wynton Marsalis Band liefern den Sound, Regisseur Jon Amiel taucht die Szenerie in das nostalgisch-weiche Licht von Jazzclubs, nächtlichen Autofahrten und holzgetäfelten Schreibstuben, und anstelle des Titelvorspanns kündigt der Rundfunksprecher den Film wie eine Seifenoper an: Julia und ihre Liebhaber, nach Vargas Llosas Roman Tante Julia und der Kunstschreiber erzählt nicht nur von den Radioschmonzetten, sondern stellt selbst eine dar. Carmichael, der Autor, ist zugleich ihr Geschöpf: ein Verwirrspiel.

Und noch das Spiel nimmt Gestalt an, in Person des Zwillingspaars Sid und Sam. Nie treten die Brüder — sie sind die Radioproduzenten — zugleich auf, der jeweils Anwesende erwähnt ständig den Abwesenden, mit dem die andern ihn verwechseln, bis Sid am Ende nicht mehr weiß, ob er nicht vielleicht Sam ist. Oder umgekehrt. Und vielleicht, siehe oben, gibt es den andern ja gar nicht.

Wer allerdings Jon Amiels Fernsehserie The Singing Detective in Erinnerung hat (und wer Vargas Llosas Roman kennt), wird von Julia enttäuscht sein: Die Gratwanderung zwischen Realität und Fiktion wird diesmal ohne jedes Risiko unternommen. Die Schnitte von seiner Story zu der Carmichaels hat Amiel unzweifelhaft kenntlich gemacht; die identischen Schauplätze und das immergleiche nostalgische Flair tragen nicht zur Verwirrung bei, sie funktionieren vielmehr als Schmiermittel für den eleganteren Übergang. Von der aufwendigen optischen Umsetzung der Radio-Seifenoper macht Amiel paradoxerweise keinen Gebrauch: „Die Könige der Gartenstadt“ werden von lauter US-Fernsehstars gespielt; eine Verwechslung findet nicht statt. So bleibt Amiels Film letztlich unangetastet von den Fragen, die er stellt und führt das Vexierspiel lediglich vor, anstatt es mit seinem Publikum zu veranstalten.

„Ich habe nie Seifenopern im Radio gehört, als ich jung war. Aber die Idee, daß Schauspieler, die vor einem Mikrophon stehen und so klingen, als erlebten sie die tiefsten Gefühle, in Wirklichkeit gerade ihre Nägel reinigen oder die Zeitung lesen, ist sehr komisch“, sagt Peter Falk über seine Rolle. Und dann steht er selbst am Mikro, markiert die junge Geliebte und den rasenden Rächer, mimt Liebesgeflüster, Gewitter und Schußwechsel, das Röcheln der Sterbenden und die Seufzer des glücklichen Paars: Showdown als Einmannbetrieb. Man sagt, das Kino sei „bigger than life“. Manchmal ist das, was man nicht sieht, am größten.

Jon Amiel: Julia und ihre Liebhaber. Drehbuch: William Boyd, nach Mario Vargas Llosas Roman „Tante Julia und der Kunstschreiber“. Kamera: Robert Stevens, Musik: Wynton Marsalis. Mit Peter Falk, Barbara Hershey, Keanu Reeves. USA 1991, ca. 115 Min.

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