Sanfte Frauenpower mit Aikido?

■ Haus der Kulturen der Welt: Geschäftsführer Günter Coenen geht, Anke Wiegand-Kanzaki kommt

Die neue Chefin wird heute offiziell in ihr Amt eingeführt. Sie hat sich viel vorgenommen: »Von den Ländern der sogenannten Dritten Welt lernen, wäre ein guter Ansatzpunkt, überhaupt von außereuropäischen Ländern zu lernen. Das klingt jetzt vielleicht ein bißchen provozierend, aber ich könnte mir denken, wenn man für Skinheads Aikidokurse macht, was eine sanfte Kampfart ist, also nicht Karate, Aikido mit Topleuten aus dem Fernen Osten, daß das ein Integrationsangebot sein könnte — bei allen Vorbehalten.«

Anke Wiegand-Kanzaki wurde vom Aufsichtsrat des von Berlin und der Bundesregierung gemeinsam getragenen Hauses der Kulturen der Welt einstimmig zur Geschäftsführerin gewählt. Sie siegte, wie es hieß, in einem »Foto-Finish« gegen einen gleichwertigen Mitbewerber. Ausschlaggebend für ihre Ernennung sei schließlich »die gute politische Übung in Berlin« gewesen, bei gleicher Qualifikation einer Frau den Vorzug zu geben, erläuterte Kultursenator Ulrich Roloff-Momin.

Die 55jährige verweist auf ihre Arbeit am Goethe-Institut, nach Tokio, Kyoto und New Delhi, zuletzt in Bombay: Dort habe man die »symmetrische Zusammenarbeit unter Partnern« gepflegt. Im multikulturellen Angebot Berlin will sie neue Akzente setzen. Um mit Aikido, mit sanfter Gewalt, auf die wachsende Ausländerfeindlichkeit in Berlin zu reagieren? Konkrete Pläne konnte sie noch nicht verkünden, aber sie versprach: »Die guten Ideen werden nicht ausbleiben.« Sie will zunächst »anknüpfen an das, was mein Vorgänger Günter Coenen hier gemacht hat, ich bin absolut gegen abrupte Brüche, sehe auch gar keinen Grund dazu. Aber ich werde, glaube ich, stärkere Akzente setzen in den Bereichen Ökologie, Umweltprobleme, eingebettet in einem kulturellen Kontext und Zusammenhang.«

Diplomatische Kritik am umstrittenen Vorgänger Coenen ist nicht zu überhören: Im Mittelpunkt seines Programms stand die Begegnung mit der Kunst anderer Völker, und das bei hohem Anspruch: »Kultur hat eben etwas mit großen Leistungen im Bereich Musik, Tanz, Theater, Literatur, Wissenschaft zu tun und muß sich nicht immer nur mit Müllbeseitigung und Trinkwasserproblemen beschäftigen«, so fertigte Coenen den bundesweit laut gewordenen Protest an seinen Indien-Festspielen des vergangenen Jahres ab.

Dieses aufwendigste Unterfangen des Hauses hatte in rund 1.000 Veranstaltungen an 85 Orten in Deutschland indische Kunst und Kultur in vielen Facetten vorgestellt. Das »Regierungsfestival« — die Teilnehmer wurden in Indien von höchsten Stellen ausgewählt — habe die indische Realität ausgeklammert und die alternative Kultur vernachlässigt, wurde vielfach kritisiert. Für Coenen ist das »eine sehr deutlich verengte, beinahe provinzielle Sicht. Wer sagt denn, daß richtige Kultur in alternativer Kultur besteht.«

Bleibt die Frage, was »richtige Kultur« sei. Wenn es um die Beurteilung von Qualität geht, würde Coenen »Kritik nicht so gerne annehmen wollen«. Seine Erfahrung sei, »daß es nur sehr wenige Menschen gibt, die in der Lage sind, den Kulturimport aus nichteuropäischen Ländern ernsthaft kritisch beurteilen zu können«.

Das Publikum scheint ähnlicher Meinung zu sein. Wolfger Pöhlmann, verantwortlich für den Bereich Bildende Kunst, Film und Medien, ist »fast etwas erschrocken über die so grundlegend positive Resonanz«, wie sie sich in den Besucherbüchern der Ausstellungen niederschlägt. Die sei bestimmt durch eine absolute Begeisterung, durch die Faszination des Fremden: »Bei einem zeitgenössischen deutschen Künstler gäbe es bestimmt Kritik, aber bei einem Künstler aus Neuseeland oder Australien wird dann alles toleriert.«

Pöhlmann wünscht sich, daß die Kunst anderer Kulturen aus der Enklave des völkerkundlichen Exotikums herausgelöst und »ernst genommen wird als Kunst«. Und Coenen hoffte, den Kreis der informierten und neugierigen Menschen erweitern zu können durch ein Publikum »aus etablierten, bürgerlichen Kreisen, weil die eine Anpassung ihres Welt- und Kulturbildes am nötigsten hätten«.

Zu elitär, meinen die einen, nicht gut genug, urteilen andere, mal den hohen Anspruch nicht erfüllt, mal nur gut gemeinte Solidarität, und alle möglichen Kombinationen dazwischen: Anlaß zu Kritik gab es immer wieder. Und »Flops sind nicht auszuschließen«, wissen auch die Veranstalter. Das Haus der Kulturen der Welt will kein Gastspielbetrieb sein, in dem nach zwei, drei Aufführungen alles wieder vergessen ist, auch wenn im Bereich Theater, Tanz, Musik — aus Kostengründen — einmalige Auftritte dominieren. Aber auch die sind meist eingebunden in einen größeren Zusammenhang. »Bündelungen schaffen«, »Pakete schnüren«, heißt das im Veranstalterjargon.

Zum Beispiel die Peru-Ausstellung: Zu den Kostbarkeiten aus 3.000 Jahren indianischer Hochkultur fanden Lesungen und eine Theateraufführung statt, eine schon vorab politisch umstrittene Diskussionsreihe zur Guerillagruppe »Sendero Luminoso« folgt Anfang August. Oder der aktuelle Länderschwerpunkt Jamaika: Über die Frauentheatergruppe Sistren mochten manche Schwestern hierzulande nur müde lächeln. Auf der Karibikinsel haben die fröhlich engagierten Frauen, die mit Mitteln des Volkstheaters Aufklärungsarbeit leisten, sicher noch eine Menge zu tun.

Das Erfolgsrezept des Hauses wird vom Stammpublikum geschätzt. Kultursenator Roloff-Momin konnte den scheidenden Chef und seine »Frauen und Mannen« gar nicht hoch genug loben. Das Team habe innerhalb kurzer Zeit das Haus der Kulturen der Welt zu einer »nach innen und außen überaus angesehenen Institution gemacht«.

Das könnte sich ändern. Coenen verläßt das Haus nach dreieinhalb Jahren »beispielloser Aufbauarbeit«, so Roloff-Momin, vorzeitig und übernimmt das Goethe-Institut in Athen. Er will »Kontinuität ermöglichen«, da sonst alle leitenden Mitarbeiter mit Fünf-Jahres-Vertrag zum gleichen Zeitpunkt gehen würden: »Meine Nachfolgerin hat so den Vorteil, daß sie sich mit einem eingefahrenen Team an das Haus gewöhnen kann.«

Die neue Chefin wird es trotzdem schwer haben. Da ist zunächst der Etat, der für das laufende und das kommende Jahr von vorgesehenen 4,2 auf 3 Millionen gekürzt wurde. Die Projekte werden vom Auswärtigen Amt in Bonn finanziert. Dort scheinen sich inzwischen Kulturbürokraten ernsthaft Gedanken zu machen, wie man in die Programmplanung hineinregieren könnte. Fest steht bereits, daß Bundesrat und eventuell auch Bundestag Sitzungen im Haus abhalten können.

»Hautnah« empfand Günter Coenen die Bedrohung durch weitere Zweckentfremdung. Da versuchen doch allen Ernstes Leute aus der Reichstagsverwaltung, als Dauernutzer ins Haus der Kulturen der Welt einzuziehen, um dort Informationsveranstaltungen zur Ausstellung »Fragen an die deutsche Geschichte« zu präsentieren und vor allem — da dürften die Begehrlichkeiten herkommen — Besuchergruppen (eine halbe Million Menschen im Jahr!) im Restaurant zu beköstigen.

Zum Stand der Gespräche über diesen Punkt wollte sich der Kultursenator nicht äußern. Er hofft auf Vernunft und die Erkenntnis, daß dieses Aushängeschild liberaler Kulturpolitik Deutschlands »ein derart hochrangiges Kulturinstitut ist, daß eine Beschneidung seiner Aktivitäten nicht nur hier, sondern auch in den Drittländern große Irritationen hervorrufen würde, die wir uns kulturpolitisch, aber auch außenpolitisch nicht leisten können«.

Anke Wiegand-Kanzaki wird für die Weiterführung dieser Arbeit kämpfen müssen, auch wenn sie das Wort als »zu martialisch« ablehnt. Mit Aikido mögen vielleicht Skinheads zu besänftigen sein. Gegen Politiker und Bürokraten sind härtere Bandagen gefragt. Ortrun Egelkraut