: C-Waffen sollen in der Ostsee bleiben
Verursacherstaaten wollen giftige Altlasten nicht bergen/ Laut UNO-Abrüstungskonferenz sollen nur neuere C-Waffen gehoben werden/ Peking protestiert: Es will japanische Kriegsmunition loswerden ■ Aus Genf Andreas Zumach
Hunderttausende von Tonnen chemischer Waffen, die von verschiedenen Staaten in internationalen Gewässern oder auf dem Territorium fremder Länder versenkt und vergraben wurden, sollen nicht geborgen und vernichtet werden. Dabei sind sie fast ausnahmslos hochgiftig und stellen wegen der Verrottung der Behälter eine ökologische Zeitbombe dar. Eine entsprechende Regelung im künftigen C-Waffenverbotsabkommen setzten die Staaten, die diese Waffen herstellten bzw. für ihre „Entsorgung“ verantwortlich waren, bei der Genfer UNO-Abrüstungskonferenz durch. Protest kam gestern nur noch von China.
Damit wird es voraussichtlich keine Regelung zur Ortung, Bergung und Zerstörung der über 300.000 Tonnen Giftgase geben, die von Hitlers Marine und danach auf Anordnung der vier Siegermächte in der Ostsee gelagert wurden. Bis gestern war vorgesehen, daß der Vorsitzende der UNO-Konferenz, der deutsche Botschafter Ritter von Wagner, den auf der Basis intensiver Verhandlungen neuesten Entwurf für das C-Waffenabkommen am Montag der Öffentlichkeit vorstellt. Er muß dann noch von den 39 Mitgliedsstaaten der Konferenz ratifiziert werden.
Hauptstreitpunkt bei den Verhandlungen über die Altlasten in internationalen Gewässern und auf fremden Territorien war die Frage, inwieweit Verursacherstaaten zur Beseitigung herangezogen werden oder die Regierung des jeweiligen Lagerlandes. Nach dem vorliegenden Entwurf sollen Giftgase, die vor 1985 in Meeren und Ozeanen versenkt wurden — und damit wahrscheinlich 100 Prozent aller jemals auf diese Weise „entsorgten“ C-Waffen — von dem Abkommen überhaupt nicht erfaßt werden. Die Begründung: Sie seien „militärisch nicht mehr verwendbar“ und daher keine „chemischen Waffen“, sondern „Giftmüll“.
Bislang ist nicht bekannt, daß auch nach 1988 chemische Waffen in Gewässern versenkt wurden. Auf fremdem Staatsterritorium zurückgelassene Altbestände „müssen“ nur geborgen und vernichtet werden, wenn sie nach 1977 gelagert wurden. Vor 1977 auf fremdem Territorium gelagerte C-Waffen — und das ist die überwiegende Mehrheit — „können“ unter den Vertrag fallen, aber nur, wenn die Regierung des Lagerlandes das Problem auf den Tisch bringt. China vertrat bis gestern die Position, für die Bergung und Vernichtung aller nach 1925 produzierten und außerhalb des eigenen Territoriums gelagerten C-Waffen seien die Verursacherstaaten verantwortlich und müßten auch zahlen. China ist vor allem daran interessiert, daß Japan die rund zwei Millionen Stück C-Waffenmunition zurückholt, die es im Krieg von 1937 bis 45 im Norden Chinas zurückgelassen hat.
Bei der jetzt gefundenen Regelung setzten sich vor allem die Interessen Rußlands (als Nachfolgestaat der UdSSR) der BRD (als Nachfolgestaat des Deutschen Reiches und der DDR), Frankreichs, Großbritanniens und der USA durch. In den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges versenkte Hitlers Marine rund 5.000 Tonnen Giftgase in der Ostsee. Nach Ende des Krieges wurden bis 1949 auf Anordnung des „kontinentalen Abfallausschusses“ der vier Siegermächte weitere 300.000 Tonnen hochgiftiger Senf- und Nervengase (Tabun, Sarin, Phosgene) in der Ostsee „entsorgt“. Sie stammten zum größten Teil aus hitlerdeutschen, zu einem geringen Teil aus britischen Beständen. Deutsche Marineoffiziere, die seinerzeit die Giftgasbehälter versenkten, bezeugen diese Aktion. Die UdSSR und nach Dokumenten des ehemaligen Ostberliner Innenministeriums auch die DDR versenkten darüber hinaus noch bis mindestens 1965 Zehntausende von Tonnen Giftgas.
Seit Jahren fangen Fischer in der Ostsee Fische mit Krebsgeschwüren oder ziehen ganze Giftgasgranaten aus dem Wasser. An den Stränden der Ex-DDR ist es bereits zu Phosphor-Verbrennungen gekommen. In einem offiziellen Dokument brachte die norwegische Delegation dieses Problem am 26. Juni 1990 auf den Tisch der Genfer UNO-Abrüstungskonferenz. Zwei Tage später wurde das Papier auf Druck aus Bonn, Moskau, Washington, Paris und London hin zurückgezogen und gilt seither als „nicht existent“. Experten schätzen die Kosten für die Bergung der C-Waffen aus der Ostsee auf bis zu mehreren hundert Milliarden Mark.
Die skandinavischen Anrainerstaaten haben der Altlasten-Regelung dennoch zugestimmt — zum Teil beruhigt durch eigene Expertenstudien, wonach die Giftgasbehälter zunächst angeblich nicht durchrosten und daher keine größere Gefahr drohe. Zum Teil aber auch, weil sie fürchten, daß überhaupt kein C-Waffenvertrag zustande kommt, wenn sie auf dem Verursacherprinzip bei der Beseitigung der chemischen Waffen bestehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen