: Devotionalienramsch
■ Pierre und Gilles und ihre Fotografien in der Raab-Galerie
Was könnten die Heilige Familie, Kleopatra, eine schöne Andalusierin, ein junger Priester, Catherine Deneuve und die ersten amerikanischen Mondastronauten gemeinsam haben? Wenn Pierre und Gilles sie fotografiert, retuschiert und übermalt haben: den schönen trügerischen Schein, einmal mehr zum Kunstobjekt avanciert zu sein. Jedes Foto und Motiv ist ein Unikat, das der Galeriebesucher mit nach Hause tragen kann.
Die zwei Franzosen sind mit ihren drapierten Kunstwelten aus Fotografie und Malerei everybodys darling im Pariser Kunstbetrieb. Den szenischen Bogen spannen sie weit und erfolgsorientiert: Hollywood-Babylon, Sixtinische Kapelle und TV- Werbung, Glamour-Stars und himmlische Heerscharen, alles ist heilig genug, um geplündert zu werden. Die Galerie Raab präsentiert einige der kühl kalkulierten Kunst- Fatamorganen noch bis Ende des Monats.
Pierre und Gilles gabeln jedes Klischee auf, um es auf den Kopf zu stellen: »Sainte afflige«, eine Gekreuzigte im himmelblauen Kleid mit Bart und Habsburgkrone. Botticellis schaumgeborene Venus verwandelt sich in eine Japanoise. Die fesche Lola und die feurige Spanierin warten auf ihre Kunst-Freier. Als Maria, Joseph und das Christuskind posieren Nina Hagen nebst Marc Almond und Söhnchen im Badeschaum, umrahmt von roten Plastikkerzen. Perfekt inszeniert ist das allemal. Pose, Übertreibung und Second-hand-Gefühle bleiben keine Zufallsprodukte. Zu lachen gibt's da nichts mehr. Wer heult, heult schimmernde Perlen, basta.
Devotionalienramsch und Postkartenidylle verpassen Pierre und Gilles noch jede Menge goldglitzender Scheußlichkeiten. Die Fotoszenarien »irgendwo im Fadenkreuz von Walt Disney, Soap-opera und der Bibel« ermüden den schlechten Geschmack. Die edlen Jünglinge und lüsternen Damen mögen Konjunktur haben, aber dem Original-Postkarten-Jesus aus Altötting, der am Kreuz so schön mit den Wimpern klimpern kann, stehlen sie kaum die Show. Yvonne Rehhahn
Pierre und Gilles, bis 30. Juni, Raab-Galerie, Potsdamer Straße 58, Schöneberg, Mo.-Fr. 10-18.30, Sa. 10-14 Uhr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen