PREDIGTKRITIK
: Nett und sympathisch

■ Der Arbeitskreis »Lesbische Frauen und Kirche« zu Gast in der Martin-Luther-Gemeinde in Neukölln

Auffallend viele junge, kurzhaarige Frauen sitzen in den Bankreihen der Martin-Luther-Kirche und singen aus vollen Kehlen das Eingangslied »Oh komm, Du Geist der Wahrheit«. Das klingt schön und stimmt doch irgendwie erwartungsfroh.

Die Gemeinde sei mit Bedacht eine »gastfreie Kirche«, erklärt die Pfarrerin zu Beginn dieses Gottesdienstes am 1. Sonntag nach Trinitatis, und so freuen sich alle gewissermaßen per definitionem, daß heute der Arbeitskreis »Lesbische Frauen und Kirche« gastweise die Gestaltung des Gottesdienstes übernommen hat.

Wie es der Zufall — oder die göttliche Fügung? — will, steht heute ausgerechnet der Erste Johannesbrief auf dem Programm. Das ist sozusagen der Liebesbrief des Neuen Testaments und entsprechend schön zu lesen: »Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm« heißt es da in Kapitel vier — und hat Johannes damit zum Thema »Lesben und Kirche« nicht wirklich alles Wichtige gesagt?

Die Vorlage wäre allemal ein Selbstläufer gewesen für die fünfzehn lesbischen Christinnen. Aber so einfach will es sich die LUK natürlich nicht machen — Fügung hin oder her. So haben sie den Johannes beiseite gelegt und für uns eine »Biblische Entdeckungsreise« in drei Stationen vorbereitet.

Los geht es bei Mose. Da lesen wir nach, daß die Erde am Anfang ziemlich wüst und leer war, und nur der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Um dieses prähistorische Flugobjekt wird es im folgenden gehen: Der Geist Gottes, der erst unlängst, nämlich an Pfingsten, auf uns ausgeschüttet wurde, ist nämlich — das haben die Frauen der LUK herausgefunden — ein Übersetzungfehler. Im Hebräischen heißt er »die Ruach« und ist mithin weiblich.

Sie sitzt, so erfahren wir in der zweiten Station der Reise aus dem Korintherbrief, in unserem Leib, und mit der Wahl ihrer Residenz hebt sie so den künstlichen Gegensatz zwischen Körper und Geist auf. Das ist schön, wird doch so unser Körper endlich einmal heftig aufgewertet, verdient er plötzlich als so eine Art fleischlicher Tabernakel sogar christliche Achtung. Sinnlichkeit als Gottes-Dienst?

So weit wollen die Frauen der LUK dann doch nicht gehen. Die heilige Ruach, so erklären sie uns, gebe ihnen eher die Möglichkeit, sich »auf einer intellektuellen Ebene Gott neu zu nähern«. Das haben sie auch in der Vorbereitungsgruppe gemerkt. Der heilige Geist, der eben eine (weibliche) Ruach ist, wirkte auch dort als positive Kraft. Er (Sie) ist Erneuerung, Lebendigkeit, kann Grenzen sprengen (oder zumindest verschieben). »Wenn wir die heilige Ruach nur zulassen, können wir befreit aufatmen«, wissen die lesbischen Frauen der LUK, die sich all der Grenzen, die immer noch in unserer Welt und in unseren Herzen wohnen und die es mit Hilfe der Ruach zu überwinden gilt, schmerzlich bewußt sind.

Mit diesen Gedanken entlassen sie uns in fünf kleine Stuhlkreise. Dort sollen wir uns gesprächsweise Gedanken zu den vielen kleinen und großen Grenzen machen, die auch in uns wohnen und die wir vielleicht mit Hilfe des heiligen Geistes überwinden können.

Unsere Gruppe ist etwas ratlos. »Wo bleibt denn die Provokation«, fragt jemand enttäuscht unsere lesbische Gesprächsleiterin. Was bisher gesagt wurde, das könne ja geradezu jeder(!) fraglos unterschreiben! Die gasterfahrenen Gemeindemitglieder seien aber gekommen, um sich am Thema des Gottesdienstes »zu reiben«.

Da sind die LUK-Frauen ihrerseits von uns etwas enttäuscht. Um Provokation geht es ihnen nämlich gar nicht. Auch das Lesbisch-Sein sollte heute nicht thematisiert werden. Es gebe doch so viele andere Grenzen, zum Beispiel die Ausländerfeindlichkeit, versucht uns die Gesprächsleiterin auf andere Denkpfade zu lenken. Aber auf »Multi-Kulti« will sich in unserem Stuhlkreis heute niemand einlassen. Die Martin-Luther-Gemeinde ist als moderne Kirche schließlich weidlich minderheitenerfahren. Hier geht alles hübsch der Reihe nach. Heute haben wir die Lesben hier, nächste Woche kommen dann vielleicht die Ausländer dran. Der Stuhlkreis beharrt. Die LUK fügt — und thematisiert sich.

Schon lauert die nächste Hürde. Denn niemand in dieser Runde mag so recht ein Problem mit den Lesben haben: Ein Herr findet die LUK-Frauen ausgesprochen »nett und sympathisch« — wenn auch auf eigentümliche Art unerotisch. Eine junge Frau ärgert sich, daß Lesben nicht heiraten dürfen, muß aber ehrlicherweise zugeben, daß »ihr eben nicht der Norm entsprecht«. Freundlich bestätigt man sich gegenseitig, daß es eigentlich gar keine Grenzen gibt zwischen Homos und Heteros. Oder doch?

Schon ist die Zeit zum Diskutieren vorüber. Schnell müssen wir unsere Arbeitsergebnisse auf einen symbolischen (Papp-)Stein schreiben, damit die Gemeinde das Zusammengetragene in einem Klagegebet gemeinsam vor Gott bringen kann. Bedächtig werden die Pappkarton-Grenzen vor dem Altar aufgebaut und wieder eingerissen. Tief rührt uns die Symbolik an, ergriffen singen wir anschließend »Komm, Mutter Geist, und schütze mich«.

»Grenzverschiebung — Wir träumen Befreiung« nennt die LUK dieses Altar-Happening, »Heilige(r) Geist)in« hieß das Motto des Gottesdienstes. An der rückwärtigen Kirchenwand blickt Martin Luther, der dieser gastfreundlichen modernen Kirchengemeinde ihren Namen gab, ernst auf uns nieder. Vielleicht wäre ja auch ihm heute eine solide Johannesbriefpredigt lieber gewesen. Klaudia Brunst