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„Wir Juden verlieren unsere Seele“

Die israelische Anwältin Felicia Langer und palästinensische ExpertInnen diskutierten in Berlin über „25 Jahre Besatzung“  ■ Aus Berlin Ute Scheub

Gibt es Verständigungschancen zwischen Israelis und PalästinenserInnen auf der politischen und auch auf der psychosozialen Ebene? Oder macht das aggressive Siedlungsprogramm und die im israelischen Wahlkampf wieder eskalierende Gewalt alle Hoffnungen auf die Friedensverhandlungen zunichte? In einem Wochenendseminar in Berlin, vom „Arbeitskreis für eine palästinensische Gesundheitsversorgung“ ausgerichtet, zeigten sich die inzwischen in Tübingen lebende israelische Rechtsanwältin Felicia Langer und eingeladene palästinensische ExpertInnen eher pessimistisch.

„Die Israelis gehen nicht ernsthaft mit dem Friedensprozeß um“, befand Mohammad Jadallah, Leiter der palästinensischen „Union der Gesundheitskomitees“ in den besetzten Gebieten. Statt „vertrauensbildender Maßnahmen“ würden Tötungen von Intifada-Aktivisten und das Siedlungsprogramm den Verständigungsprozeß verunmöglichen: „Die Landnahme ist das Schlachtfeld zwischen Besetzten und Besetzern.“ Schon im Jahre 1991 seien zwei Drittel der völkerrechtlich illegal besetzten Gebiete unter israelischer Kontrolle gewesen, bald seien es 80 Prozent. Vor einem Jahr habe es rund 150.000 SiedlerInnen gegeben, inzwischen seien es 370.000, in den nächsten Jahren sollten es 900.000 werden. Der Arzt hatte eine Karte mit den der Presse entnommenen Regierungsplanungen für das Jahr 2010 mitgebracht: Vom besetzten Palästina ist darin fast nichts mehr übrig (siehe Abbildung). „Diese Politik dient dazu“, so Jadallah, „den israelischen Rückzug unmöglich zu machen. Die Einheit der besetzten Gebiete ist zerstückelt und zerstört.“ Auch wegen des großangelegten Straßenbauprogramms, das allein die Siedlungen verbinde und die arabischen Dörfer vom Umland abschneide. Palästinensisches Land werde völkerrechtswidrig beschlagnahmt, wenn es unbebaut sei, als „militärisches Sperrgebiet“ benötigt würde oder die Eigentümer bei der Besetzung im Juni 1967 „abwesend“ gewesen wären. Der Arzt klagte von den Regierungen Europas deutliche Forderungen nach einem Siedlungsstopp ein, damit der Frieden keine „Pax Americana“ werde.

Gefragt, ob eine Aufgabe der Siedlungen angesichts der großen Zahl russischer ImmigrantInnen überhaupt noch möglich sei, zeigte sich Felicia Langer dennoch optimistisch: „Wenn man Frieden will, kann man alles schaffen.“ Auch im israelischen Kernland könne man „Millionen von Menschen“ unterbringen. Die meisten RussInnen würden allerdings nur unter dem Zwang der Verhältnisse einwandern, „nur vielleicht 20 Prozent wollen wirklich ins Gelobte Land“.

Die Anwältin, die 23 Jahre lang PalästinenserInnen verteidigt hat, hob auf die Folgen der zahlreichen Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten wie Landnahme, Häuserdemolierungen, Tötungen durch israelische Geheimkommandos, Folter und Kollektivstrafen ab: „Die Soldaten tragen die Brutalität auch in unsere Gesellschaft. Wir verlieren unsere Seele. Die großartige jüdische Tradition wird verpestet und verraten.“ Auch in den Familien und zwischen Soldaten eskaliere nun Gewalt, wie sie in den besetzten Gebieten gelernt worden sei. Verschiedene Einheiten hätten sich sogar nach dem KZ-Arzt Mengele benannt. Sie wies jedoch auch auf die historische Ursache dieses „Entfremdungsprozesses“ hin: „die Erfahrung, daß niemand den Juden im deutschen Holocaust geholfen hat“. Aber auch das könne keine Entschuldigung dafür sein, daß sogar Minderjährige gefoltert würden: „Menschenrechte sind unteilbar.“ Wer sich nicht einmische, lasse zu, daß seine Schuldgefühle von der israelischen Regierung „instrumentalisiert“ würden.

Die Kinderärztin Jumana Odeh und die Psychologin Vivian Khamis berichteten über die schlechte medizinische und psychosoziale Versorgung der PalästinenserInnen. Von Beginn der Intifada bis zum Februar 1992 habe es 1.032 Tote und 121.096 Verletzte gegeben. Kinder und Jugendliche, so die Psychologin, litten unter massiven traumatischen Störungen: Ängste, Schlafstörungen, Depressionen, Aggressionen, asoziales Verhalten. Die erfahrene Gewalt erhöhe auch die Aggression gegenüber israelischen Zivilisten und führe zur „Entindividualisierung“, die sich in der Vermummung ausdrücke. „Gewalt gebiert Gewalt“: deswegen glaube sie, daß die „Politik der Gewalt auch in den kommenden Jahren in den besetzten Gebieten dominiert“. Daneben gäbe es, vor allem bei den doppelt unterdrückten Mädchen, immer wieder regelrechte „Massenhysterien“: Hunderte von Schulmädchen seien wegen Kopfschmerzen und Erbrechen in die Klinik von Hebron eingeliefert worden. Doch deren Vermutung, Siedler hätten das Trinkwasser vergiftet, bestätigte sich nicht. Die massiven Störungen, so Jumana Odeh, hätten eine einzige Ursache: „die Okkupation“. „Das ist eine Generation“, fügte Vivian Khamis hinzu, „der es nie erlaubt war, frei von Angst, Haß und Gewalt zu leben.“

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