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„De Klerks Besuch machte uns wütend“

Bei einem Besuch der Schwarzensiedlung Boipatong wurde Nelson Mandela umjubelt: „Er ist unser Führer, aber de Klerk, den wollten wir nicht“/ ANC setzt Gespräche mit der Regierung vorläufig aus  ■ Aus Boipatong Hans Brandt

Die Bodyguards schreien vergeblich. In der Flut der Menschen geht der schwarze BMW fast unter. Hunderte versuchen sich vorzudrängen. Einige singen, andere tanzen, alle brüllen. Dichte Staubwolken wirbeln durch die Luft, hier und da wird im Gedränge ein Schuh vom Fuß gerissen. Schweißgeruch beißt in der Nase. „Viva Mandela!“ ruft einer, und die Menge brüllt ohrenbetäubend zurück. Und dann steigt er aus, der ehrwürdige alte Herr, hebt die Faust, lächelt wohlwollend.

Nelson Mandela macht einen Rundgang durch Boipatong und die benachbarte Slumsiedlung Slovo Camp. Die Slumhütten sind nach dem Angriff von Mittwoch schon wieder aufgebaut, nur ab und zu sieht man noch Löcher in den Fenstern. Doch vor mehreren Hütten sitzen Verwandte von Ermordeten, in Decken gehüllte Frauen, schluchzende Kinder. Mandela geht zur Hütte Nummer 109. Hier wurde eine Frau mit ihrem neun Monate alten Baby erstochen.

Zehn Schritte weiter steht Simon Moloi etwas verwirrt vor seiner Hüttentür. Die Frau des 32jährigen, Maria Mlangeni, war im neunten Monat schwanger, als eine Horde von 200 Männern sich in der Nacht zum Donnerstag auf sie stürzte, ihr eine Kugel in den Leib jagte und dann noch mit einem Speer zustach. Ein paar Häuser weiter steht ein junger Mann bei seiner Tante, deren Sohn ermordet wurde. „Es ist sehr gut, daß Mandela kommt“, sagt er. „Er ist unser Führer. Aber de Klerk — den wollten wir nicht. Sein Besuch hier hat uns wütend gemacht.“

Auch Präsident Frederik de Klerk hatte am Samstag versucht, Boipatong zu besuchen, war jedoch von erbosten Bewohnern verjagt worden. Der Grund: zahlreiche Augenzeugen hatten nach dem Überfall berichtet, am Mittwoch abend habe die Polizei die Angreifer aus dem nahegelegenen Wohnheim für Wanderarbeiter eigens nach Boipatong transportiert. Das Heim gilt als Hochburg der Zulupartei Inkatha.

So wurde de Klerks Besuch eine peinliche Schlappe. Umgeben von schreienden Schwarzen, die auf das Dach seiner Limousine schlugen, mußten der weiße Präsident und seine Wächter in mehr als einem Dutzend Panzerwagen nach knapp zehn Minuten das Weite suchen. Kurz danach stand die wütende Menge der Polizei gegenüber. Bei der Konfrontation wurde ein Mann erschossen. Als schon die Leiche von Polizisten umringt war, kam es erneut zu einer Konfrontation. Wieder begann die Polizei zu schießen. Zwei Menschen wurden getötet, Dutzende verletzt.

„Wir haben de Klerk von einer Ecke zur anderen getrieben“, sagt Ernest Sotsu, amtierender Vorsitzender des ANC in Boipatong. „Die Comrades (junge ANC-Anhänger — d. Red.) wollten sein Blut. Seine Polizei hat unsere Familien ermordet. Wir haben de Klerk verjagt und sind stolz darauf.“

Sotsu spricht vor mehr als 3.000 Menschen, die gekommen sind, um Mandela zu hören. Als er die 42 Namen der Ermordeten vorliest, immer wieder hintereinander dieselbe Addresse angibt, Häuser nennt, in denen ganze Familien umgebracht wurden, herrscht eine betroffene Stille.

„Ich bin überzeugt, daß wir es nicht mit Menschen zu tun haben, sondern mit Tieren“, sagt darauf Mandela, sichtlich betroffen nach Gespächen mit Angehörigen der Ermordeten. „Bei unserer zukünftigen politischen Arbeit werden wir nicht vergessen, was de Klerk, die Nationale Partei und die Inkatha-Partei unseren Menschen angetan haben. Ich habe noch nie derartige Grausamkeit gesehen.“

Mandelas Besuch in Boipatong bestätigt die Verhärtung der Fronten zwischen Regierung und ANC, die verantwortlich für das Massaker in Boipatong ist. Nach seinem mißlungenen Besuch in Boipatong sagte ein sichtlich schockierter de Klerk am Samstag: „Wir könnten zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um Recht und Ordnung und die Sicherheit aller Südafrikaner zu garantieren.“ Doch, fügte er hinzu, sollte es wieder zur Einführung eines Ausnahmezustandes kommen, wäre das ein „sehr trauriger Tag“.

Die Stimmung in Boipatong und in benachbarten schwarzen Orten ist militant. „Mandela, wir wollen Waffen“, rufen die Jungendlichen, als Mandela am Nachmittag in einem Stadion des benachbarten Evaton ankommt. „Krieg zuerst, dann Frieden“, fordert ein Plakat. Und die 10.000 Zuschauer jubeln laut, als Mandela sagt: „Bisher war de Klerk eigenartig still, wenn schwarze Menschen ermordet wurden. Jetzt kommt er plötzlich nach Boipatong und weint Krokodilstränen. De Klerk und sein Regime tragen die volle Verantwortung für die Gewalt in diesem Land.“ Kurze Zeit später verkündete Mandela, bis auf weiteres würden jegliche Gespräche mit der Regierung ausgesetzt.

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