: Macht euch ein Fernsehen!
■ Der bremische „Offene Kanal“ Fernsehen geht im August auf Sendung / Schöne Studios fast fertig
Ab August können Sie alles. Sie können zum Beispiel Ihren Mallorca-Film im richtigen Fernsehen zeigen. Sie können Ihren Freund auf einem Stuhl und vor laufender Kamera filmen, wie er sich so schön über die Bremer Verkehrspolitik aufregt. Sie können Interviews mit Russenkindern machen, wie die die deutsche Schule finden.
Sie können sogar im Fernsehen ein Kapitelchen vorlesen. Sie können eine Beirats-Sitzung filmen oder mit der Kamera draufhalten, wie Menschengesichter sich verändern, bloß weil man die Kamera draufhält. Sie können Filme machen zum Thema Achselschweiß, Computersucht, Knöterich, Cellulitis, Augenfarben, Bademode.
Sie können alles, denn ab 14. August geht der Bremer Offene Kanal (OK) mit einem großen Fest auf Sendung. Das heißt: Jede und jeder kann dort gratis Kameras leihen, Filme drehen, schneiden und fürs Kabel-TV senden, unzensiert und gratis. Denn bezahlt haben Sie das ohnehin längst: mit Ihren Rundfunkgebühren, die die Landesmedienanstalt jetzt zum Teil für den Offenen Kanal ausgibt.
Uwe Parpart, OK-Beauftrag
Hinter Uwe Parpart tut sich, wie man sieht, schon der Kanal aufFoto: Jörg Oberheide
ter, zeigte gestern der taz die nagelneuen, bildschönen Räume an der Findorffstraße. 600 Quadratmeter auf 2 Etagen: Alles riecht nach Farbe (viel Weiß und ein bißchen Mintgrün) und nach neuem Linoleum. Und überhaupt kein Behörden-Ambiente: Das Design-Labor Bremerhaven hat die Räume ziemlich durchdacht
hierhin bitte den
Mann vor verschwommenem
Hintergrund
(u.a. ein Bildschirm)
gestaltet. Für den Hörfunk wird es übrigens erst 1993 einen Offenen Kanal geben, weil noch unklar ist, auf welcher Frequenz. Hier geht es also nur ums Fernsehen.
Gedreht wird mit Super-VHS, mit Urlaubsfilm-Equipment also, das viele längst zu Hause haben und über das Buten & Binnen-Kameramänner höchstens müde grinsen würden. „Ist aber gut sendefähig“, sagt Parpart, „und diese Technik kennen die Leute.“ Höchst professionell ausgestattet sind dagegen die Schnitt- und Produktionsplätze, die sonst bei der Super-Beanspruchung auch schnell verschlissen wären: ein geräumiges „Selbstfahrer“-Studio und ein zweites Produktions- Studio sind perfekt ausgestattet.
Für Talk-Shows mit Publikum oder für die „Aktuelle Stunde“ gibt es das große Studio, hinter der Glasscheibe mit mindestens 7
Leuten zu bedienen: für die drei rollbaren Kameras, für die Lichtregie, für Text-Einblenden per Amiga-Computer, für die teure Bild-Regie mit vier Monitoren, für die Tonregie mit den verschiedenen Mikrofonen. All das geht nach Wunsch mit ganz kleinem technischen Sachverstand, oder mit Profi-Tricks.
Natürlich darf nicht jede gleich an die teuren Geräte. Wer Beiträge senden will, muß entweder die eigene Ausrüstung benutzen oder einen Technik-Kurs der Landesmedienanstalt, beim Schlachthof, bei Wiedeo etc. nachweisen. Dann ist aber alles ganz einfach. Die InteressentIn kommt mit Ausweis vorbei, unterschreibt die Nutzerordnung und darf fortan Geräte leihen und Schnittplätze buchen. Dies übrigens in einem Extra-Trakt 24 Stunden lang: Um Engpässe zu vermeiden, sind die beiden Produktions-Studios (und außerdem Klo und Kaffeemaschine) Tag und Nacht per Code-Schloß für angemeldete NutzerInnen zugänglich.
Aus den Erfahrungen der anderen Offenen Kanäle hat man gelernt. Natürlich sollen alle BremerInnen „gleichen freien und unzensierten Zugang“ (Parpart) zum Medium Fernsehen haben. Aber einfach abzunudeln, was geliefert wird, wäre fürs Publikum Langeweile in Eimern. Nach einem Sendeschema, das der Landesrundfunkausschuß gestern beraten hat, sollen deshalb offene Buchungen mit festen Sendeplätzen für verschiedene Initiativen wechseln und Workshops für qualifiziertes Fernsehmachen angeboten werden. Tabu sind politische Parteien und Werbung.
„Alles, was man auf dem Marktplatz sagen kann, ist auch im OK erlaubt“, sagt Parpart, „für Gewalt und Pornografie gilt das Strafgesetzbuch.“ Eine Vorab-Zensur findet nicht statt; sie ist nach allen Erfahrungen auch überflüssig. Parpart: „Eher ist der OK viel zu bieder und brav. Man kann doch rumexperimentieren und formale und ästhetische Grenzen überschreiten!“ Susanne Paas
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