: Die ganze Verwandtschaft sah tatenlos zu
■ Prozeß um den Mord an einem zweijährigen Jungen ergab: Das Opfer war vor seinem Tod öfters mißhandelt worden
Moabit. Je mehr Zeugen im Prozeß um den Mord an dem zweijährigen Pascal vernommen werden, um so klarer wird die Erkenntnis: Der kleine Jungen starb, weil seine Eltern und Verwandten ihre Augen verschlossen und geschwiegen hatten. Nach der bisherigen Beweisaufnahme steht fest, daß Pascal im vergangenen Jahr über einen langen Zeitraum mit Schlägen und Fußtritten schwer mißhandelt worden war, bevor er in der Nacht vom 7. zum 8. September sprichwörtlich zu Tode geprügelt wurde. Daß das Kind häufig grün und blau gedroschen war, mehrmals ein zugeschwollenes Gesicht und dicke Hämatome am Körper hatte, war der Verwandtschaft nicht verborgen geblieben, doch niemand griff ein. Tatbeschuldigter ist der 23jährige Tischler Thomas K. aus Friedrichshain, der mit Pascals Mutter befreundet war. Wie berichtet, hatte der Angeklagte nach seiner Festnahme im vergangenen September ein umfassendes Geständnis abgelegt. Aus Wut darüber, daß Pascals Mutter Martina St. ohne ihn in die Diskothek gegangen sei, so sagte er damals, habe er zu Hause auf das schreiende Kind eingeschlagen. »In diesem Augenblick war mir alles scheißegal.« Laut Anklageschrift soll Thomas K. mindestens eine Stunde lang auf das Kind eingeprügelt haben und es, als es schon teilweise bewußtlos war, gegen Zimmerwände und auf den Fußboden geworfen, ihm in den Brustkorb gebissen und in den Penis gekniffen haben. Pascal erlitt dadurch laut Staatsanwaltschaft diverse Schädelbrüche, Hirnprellungen und Drehbrüche der Beine. Anschließend versteckte Thomas K. das Kind in einem Kohlencontainer. Als die Mutter gegen vier Uhr nachts nach Hause zurückkehrte und das Kind suchte, soll er ihr den Jungen vor die Füße geworfen haben. Die Frau fuhr mit Pascal sofort ins Krankenhaus, aber für den Jungen kam jede Hilfe zu spät.
Pascals Mutter, die 26jährige Verkäuferin Martina St. aus Mitte, offenbarte als Zeugin vor Gericht, daß der Angeklagte schon vor der Tat im September häufig »ausgerastet« sei und nicht nur Pascal, sondern auch sie selbst verprügelt habe. Aber weil er ihr danach immer wieder versprochen habe, »das wird nicht wieder vorkommen«, habe sie sich nicht von ihm getrennt. Erst habe sie versucht, die Mißhandlungen des Jungen vor der Verwandtschaft geheim zu halten. Die Verletzungen seien jedoch so offensichtlich gewesen, daß keiner der Familienangehörigen die Ausrede geglaubt habe, das Kind sei gegen einen Schrank gelaufen. Die Lebensgefährtin von Pascals Großvater bestätigte gestern als Zeugin, daß sie von Anfang an nicht an die Schranklegende geglaubt habe. »Natürlich« sei in der Familie über die Mißhandlungen des Jungen gesprochen und Martina St. geraten worden, sich von Thomas K. zu trennen. »Aber wenn sie meint, sie sei mit ihm besser zusammen, was sollen wir uns da einmischen?« fragte sie. Pascals Großvater, der 53jährige Facharbeiter Peter St. gab zu, daß er den Kleinen oft mit vielen blauen Flecken sah. Nachdem seine Schwiegertochter seinen Rat nicht befolgen wollte, sich von Thomas K. zu trennen, so der Großvater, »habe ich mich dann da nicht mehr sehen lassen«.
Daß Pascal von Thomas K. so häufig »den Arsch voll gekriegt« habe, habe er erst nach dem Tod des Jungen mitbekommen, suchte Pascals Vater Adrian St. vor Gericht Glauben zu machen. Er habe den Jungen nur einmal grün und blau geschlagen gesehen. Der Prozeß wird am kommenden Montag fortgesetzt. plu
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