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Wozu Worte ohne Seele?

■ betr.: "Utopien im Schweinestall" von Nana Brink, taz vom 16.6.92

betr.: „Utopien im Schweinestall“ von Nana Brink, taz vom 16.6.92

Vom 12. bis 14. war ich in Krögis beim Treffen „Neue Lebensformen“. Eine innere Heiterkeit wie lang nicht mehr durchzog mich danach. Dann las ich den Bericht darüber in der taz. Traurigkeit und Empörung kehrten zurück.

Mit „Thema verfehlt“ hätte mein Lehrer solchen Aufsatz quittiert. taz- Gesandte Nana Brink kommt offenbar aus anderer Schulwelt.

Doch was sucht sie in der auch für alternative Ossis gedachten Zeitung — diese Ignoranz des durchschnittlichen Besser-Wessi? [...]

Keine „ostdeutsche Dorfszene“, auch keine „Ökodorf-Szene“, sondern vom Kapitalismus ernüchterte Menschen aller Art trafen sich. Keine „Perspektiven ökologischen Landbaus“, auch keine „bäuerlichen Utopien“ wurden diskutiert, sondern die Möglichkeiten eines Lebens mit innerem Sinn, weniger seelischer Kälte, mehr Kontakt zur Natur, Menschen und sich selbst. In den Arbeitsgruppen ging es um das mögliche Maß zwischen Selbstversorgung und Beteiligung an globaler Arbeitsteilung, um Ausstieg oder Einstieg, um eigene innere Sehnsüchte, Lüste und deren Hindernisse.

Ein Sächsischer Staatssekretär sprach auch vom eigenen christlichen Motiv und vom öffentlichen Sinn eines ernsthaften ökologisch und sozial alternativen Experiments. Er rief alle sich um die Zukunft Sorgenden zu einem „Wettstreit der Ethik“ ohne ideologische Schranken. Und als Zeichen eigener Wahrhaftigkeit mitbrachte er Erstaunliches.

Dabei neben Land und Startbedingungen auch den Hinweis, daß Staat mehr als Voraussetzungen nicht geben kann und will, daß das Eigentliche nun Sache der sich Wagenden sei.

Daraufhin wurde ein Netzwerk aller sächsischen Initiativen vereinbart. Fast 100 Leute aller Berufungen erklärten sich bereit, ein Experiment mit den Brennpunkten Ökologie, Gemeinschaft und Selbstverwirklichung mitzuinitiieren. Auch wenn die Chance für menschliche Inseln inmitten verlorener Welt gering ist, bleibt der ewige Sinn ihres Versuches.

Nun taz, seist du zum Schluß gefragt, willst du es fördern oder hemmen? Ich verstünde eine aus den Erfahrungen des westlichen 68er Aufbruchs gestimmte Resignation. Doch selbst ohne eigene Hoffnung wäre Schweigen statt Sarkasmus die bessere Haltung gegenüber dem noch nicht ganz aufgebenden Ossi. Maik Hosang, Ost-Berlin

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