Wer nur ist der Gute?

■ Ewige Feindschaft: Diskuswerfer Schult und Schmidt

Früher war halt noch vieles einfacher, auch zu verstehen. Etwa dieses: der 1987 in die BRD gekommene Diskuswerfer Wolfgang Schmidt war ein jahrelang bös schikaniertes und aus dem Verkehr gezogenes Opfer des Systems, der Olympiasieger Jürgen Schult (Schwerin) als sein Feind auch unser Feind und ein real existierendes Monster.

Doch nun, da die beiden Sportrepubliken längst zu einer harmonischen Einheit zusammengewachsen sind, in der alles sich liebt und kost, und nur diese beiden immer weiter und erbitterter streiten, scheint es an der Zeit, die Sache mal etwas dialektischer zu betrachten. Ausgegangen werden soll dabei von aktuellem Anlaß, den deutschen Meisterschaften vom vergangenen Wochenende in München. Dort war der Ex-Weltrekordler Wolfgang Schmidt nämlich nach mäßigen 50 Metern im Vorkampf zum Finale nicht mehr angetreten, wegen „Bandscheibenproblemen im Lendenwirbelsäulenbereich“. Was ärgerlich für den 38jährigen war, denn aus demselben Grund hatte er bereits die zweite der drei Olympiaqualifikationen in Duisburg verpaßt, zur ersten im niederrheinischen Straelen hatte er auch nicht kommen können, weil er von März bis Mai in den USA weilte. Dort nun aber hatte er gleich zweimal, und zwar in Salinas mit 65,12 und in San José mit 65,58 Metern, die Olympianorm von 63,20 Metern übertroffen. Schmidts Folgerung während einer eigens von ihm selbst einberufenen Pressekonferenz in den Katakomben des Münchner Olympiastadions: Zwei, nämlich Schult und Weltmeister Riedel, sind sowieso qualifiziert. Sollte einer der anderen die Norm auch noch schaffen, wäre der in Barcelona. Wenn nicht, dann wäre er, Schmidt, dran. „Ich bin da ganz fair“, sagte Schmidt und schaute wie einer, der da ganz fair ist. Nachdem keiner der Konkurrenten die geforderte Weite gebracht hatte, verkündete er: „Jetzt liegt die Entscheidung beim Verband.“

Das hört sich alles schön und gut an, solange man den Betrachtungswinkel nicht verschiebt. Dies tun aber die Herren Schult, Riedel und Olympiasieger Rolf Danneberg, und dann geht die Geschichte so: Schmidt habe, so der Schweriner Schult, „bei zwei Qualifikationen gekniffen, ist bei der dritten nicht angetreten“. Schlußfolgerung: „Wer da nicht merkt, daß da etwas faul ist, ist selbst schuld.“

Die Geschichte in dieser Version: Wer lange genug in den USA weilt, wird kaum kontrolliert, weil dem DLV dafür das Geld fehlt. Weiten, die auf sogenannten „Segelflugwiesen“ geworfen worden sind, zählen nichts, und die Bandscheibengeschichte, so Rolf Danneberg, „nehme ich ihm nicht ab“. Ein Schurkenstück also?

Bereits im April hatten Schult und Riedel einen Brief an den DLV geschrieben, in dem sie verschärfte Kontrollen gefordert hatten, in der Absicht, Schmidt damit zu bändigen. Denn der, so Schult, „macht seit 20 Jahren, was er will“ und hat demnach, so Rolf Danneberg, eigentlich „nichts drauf“.

Schult und Riedel, beide gute Kumpels, werden im übrigen seit ihrem Brief oft kontrolliert, Schult hat seit Ende April fünfmal ins Röhrchen gepinkelt. Und hat etwas drauf: In München warf er 65,02, seine Jahresbestleistung steht bei 69,04 Metern, und er sagt, er könne unter gewissen Umständen 70 Meter werfen. „Ich hab' früher auch soweit geworfen.“ Viel weiter sogar noch, um genau zu sein, 74,08 Meter nämlich, den immer noch real existierenden Weltrekord, der aber heutzutage, heißt es, nicht mehr geworfen werden kann. Es sei denn, man treibe sich monatelang in der Weltgeschichte rum. Aber, was behaupten wir, auch dort wird kontrolliert. „Ich bin“, sagt nun wieder Schmidt, „einmal in Seattle ganz überraschend kontrolliert worden.“ Was Schult nur abwinken läßt: „Der Mann ist für mich tot.“

Doch noch nicht ganz. Kommt ganz darauf an, welcher Version sich der DLV am Freitag beim Nominierungsprozedere anschließen wird. Doch wichtiger als die Frage, ob Schmidt nach Barcelona fährt, ist diese hier: Wer ist der Gute? Einer, alle beide, oder am Ende keiner? Peter Unfried

MÄNNER: 100 m: Steffen Bringmann (Mannheim) 10,58 Sek., 200 m: Robert Kurnicki (Wattenscheid) 20,60 Sek., 400 m: Thomas Schönlebe (Chemnitz) 45,20 Sek., 800 m: Jörg Haas (Offenburg) 1:48,04 Min., 1.500 m: Jens-Peter Herold (Berlin) 3:41,68 Min., 5.000 m: Dieter Baumann (Leverkusen) 13:35,76 Min., 110 m Hürden: Florian Schwarthoff (Heppenheim) 13,25 Sek., 400 m Hürden: Olaf Hense (Dortmund) 49,13 Sek. (DLV-Jahresbestzeit), 3.000 m Hindernis: Steffen Brand (Wattenscheid) 8:21,76 Min., 20 km Gehen: Robert Ihly (Offenburg) 1:23:40 Std., Hoch: Ralf Sonn (Weinheim) 2,32 m (DLV-JBL), Stabbhoch: Mark Lugenbühl (Landau) 5,55 m, Weit: Dietmar Haaf (Kornwestheim) 8,16 m (DLV-JBL), Drei: Ralf Jaros (Wattenscheid) 17,11 m, Kugel: Ulf Timmermann (Berlin) 20,46 m, Diskus: Lars Riedel (Mainz) 65,96 m, Speer: Volker Hadwich (Magdeburg) 82,26 m, Hammer: Heinz Weis (Leverkusen) 79,22 m.

FRAUEN: 100 m: Heike Drechsler (Jena) 11,33 Sek., 200 m: Silke Knoll (Dortmund) 22,50 Sek. (DLV-JBZ), 400 m: Anja Rücker (Jena) 51,86 Sek., 800 m: Christine Wachtel (Rostock) 1:59,38 Min., 1.500 m: Ellen Kießling (Dresden) 4:14,89 Min., 3.000 m: Claudia Borgschulze (Dortmund) 9:01,60 Min., 100 m Hürden: Sabine Braun (Wattenscheid) 13,05 Sek., 400 m Hürden: Heike Meissner (Dresden) 55,09 Sek. (DLV-JBZ), 5.000 m Bahngehen: Beate Anders (Berlin) 21:25,72 Min., Hoch: Heike Henkel (Leverkusen) 2,03 m, Stabhoch: Daniela Köpernick (Cottbus) 3,80 m, Weit: Drechsler 7,21 m, Dreisprung: Petra Laux (Siegen) 13,50 m, Kugel: Kathrin Neimke (Magdeburg) 19,45 m, Diskus: Ilke Wyludda (Halle) 66,88 m, Speer: Silke Renk (Halle) 64,40 m .

Deutsche MeisterInnen 1992: