Auseinandersetzungen am Dnestr weiten sich aus

■ Nach Rußland erklärte auch die Ukraine, sie wolle die russische Bevölkerung der „Dnestr-Republik“ schützen/ Moldavische Regierung beschuldigt Moskau, einen „nicht erklärten Krieg zu führen“/ Tote und Verletzte bei Kämpfen am Wochenende

Moskau (ap/dpa) — Die Auseinandersetzungen um Transnistrien weiteten sich gestern weiter aus. Nachdem am Wochenende bei blutigen Kämpfen in dem Gebiet im Osten Moldovas mehr als 200 Menschen ums Leben gekommen waren, beschuldigte der moldavische Präsident Snegur gestern Moskau, einen „nicht erklärten Krieg“ gegen sein Land zu führen. Auch die benachbarte Ukraine nahm zu dem Konflikt Stellung. Präsident Krawtschuk kündigte in Kiew an, sein Land werde die russische Minderheit in Transnistrien unterstützen, die die Annäherrung der ehemaligen Sowjetrepublik an Rumänien ablehnt. Wenn die moldavische Führung den Anschluß an Rumänien vollziehe, werde die Ukraine die Selbständigkeit der von der russischen Minderheit ausgerufenen „Dnestr-Republik“ in Transnistrien „garantieren“.

Zuvor war gemeldet worden, daß sich die Präsidenten von Moldova, der Ukraine und Rumänien gemeinsam um eine friedliche Beilegung des Konfliktes bemühen wollten. Moldova will auch Rußlands Präsidenten Boris Jelzin für die Teilnahme an den Beratungen am Rande der Schwarzmeerkonferenz in Istanbul Mitte dieser Woche gewinnen, wie Außenminister Nicolae Ziu gestern vor dem Parlament in der moldavischen Hauptstadt Kischinjow mitteilte. In derselben Sondersitzung des Parlaments beschuldigte Moldovas Präsident Snegur Moskau allerdings, es wolle den Gendarmen in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) spielen.

Snegur zitierte den russischen Vizepräsidenten Rutskoi mit den Worten, russische Truppen seien bereit, ihre Brüder in allen früheren Sowjetrepubliken zu schützen. Vor dem Parlamentsgebäude forderten während der Rede gestern mehr als 2.000 DemonstrantInnen Sofortmaßnahmen zur Unterstützung der in Transnistrien kämpfenden moldavischen Polizeitruppen und eine Mobilmachung.

Der russische Präsident Jelzin hatte am Wochenende mit seinem militärischen Eingreifen in den Konflikt gedroht, falls russische Bürger in Gefahr gerieten. Er sei nach wie vor für eine politische Lösung des Problems, Rußland könne aber nicht indifferent bleiben, wenn ein Krieg im Gange sei und immer mehr Menschen ums Leben kämen. Snegur solle wissen, daß Rußland in der Lage sei, die gefährdeten Menschen zu schützen und dem Blutvergießen Einhalt zu gebieten. Präsident Snegur anwortete in einem Fernschreiben mit der Aufforderung, Jelzin solle sich besser über die Fakten informieren.

Die Kämpfe in der Dnestr-Stadt Bendery dauerten in der Nacht zum Montag an, berichtete die Moskauer Nachrichtenagentur 'Itar-Tass‘ unter Berufung auf die Behörden in der Region. Bendery werde praktisch von den Dnestr-Garden und der russischen 14. Armee kontrolliert.

Über Radio Kischinjow wurden stündlich Aufrufe zu Blutspenden verbreitet. Bei Kämpfen im Gebiet von Dubossary sind nach Angaben aus Kischinjow sieben moldavische Soldaten getötet und 38 verletzt worden, wie die Moskauer Nachrichtenagentur 'Interfax‘ am Montag meldete. Der Fluß Dnestr ist durch eine Ölpest bedroht. Nachdem das Kraftwerk von Dubossary bei Kämpfen beschädigt worden war, flossen bereits 80 Tonnen Öl in den Fluß.

Ein militärisches Eingreifen Rußlands wäre die erste militärische Intervention gegen ein anderes Mitglied der aus der Sowjetunion hervorgegangenen GUS. Es könnte ein Präzedenzfall werden, da auch in den übrigen Staaten der GUS starke russische Volksgruppen leben.

Russen und Ukrainer in Transnistrien hatten eine von Moldova unabhängige Republik proklamiert, weil sie die Vereinigung Moldovas mit Rumänien befürchten. Moldova will die Region aber wegen der dort lebenden starken rumänischen Minderheit nicht hergeben. Der Konflikt hat sich nach dem Einmarsch moldovanischer Truppen und Polizei in die transnistrische Stadt Bendery am Freitag verschärft. Bei dreitägigen Kämpfen gab es dort dem GUS- Fernsehen zufolge 200 Tote und 300 Verletzte, davon viele ZivilistInnen. Nach russischen Nachrichten wurde auch auf russische Soldaten und Munitionsdepots geschossen.

Bei einem Anschlag auf ein Munitionsdepot der 14. russischen Armee soll es laut 'Itar-Tass‘ 20 Tote gegeben haben. Snegur bestritt in einem Telegramm an Jelzin, daß es Übergriffe auf Soldaten der GUS gegeben habe.