„Der Staat verkauft nicht an die Mafia“

■ Die Moskauer Privatisierungsministerin Larisa Pijaschewa erläutert ihr Wirtschaftsreformkonzept

taz: Von Moskau aus werden 80 Prozent der russischen Betriebe verwaltet. Die russischen Wirtschaftsreformen hängen also sehr stark davon ab, welche Entscheidungen die Moskauer Stadtregierung trifft oder auch Sie als Privatisierungsministerin. Hat eine Privatisierung in Moskau überhaupt schon richtig begonnen?

Larisa Pijaschewa: Die „kleine Privatisierung“ in Moskau ist angelaufen; das heißt die Privatisierung kleinerer Geschäfte in Dienstleistung und Handel. Das Programm wurde von der Stadtregierung unter Popow ausgearbeitet und von der Regierung Jelzin gebilligt. Man hat versucht, dieses Programm dann in die Praxis umzusetzen.

Versucht?

Dabei sind sofort Schwierigkeiten entstanden, weil zwei konkurrierende Gremien für die Privatisierung zuständig sind (siehe Kasten).

Wie sieht Ihr Programm denn im einzelnen aus?

Die Belegschaften der Betriebe sollen zuerst abstimmen, ob eine Mehrheit von über 50 Prozent für die Privatisierung ist. Dann stellt die Belegschaft einen Antrag. Das haben 10.000 Betriebe gemacht. Daraufhin müssen die Produktionsmittel, also Gebäude, Maschinen, Rohstoffvorräte usw., bewertet werden. Die so ermittelte Summe muß von einer Kommission bestätigt werden und wird dann in den Antrag eingetragen. Das ist für 3.000 Betriebe geschehen. Eigentlich soll dieser Antrag dann innerhalb einer Woche durch das Komitee für Privatisierung bestätigt werden. Bisher gibt es aber nur drei Läden, die privatisiert sind.

Woran liegt das?

Das liegt an den Bürokraten in der Stadtverwaltung, die alles blockieren. Wenn ich die notwendigen Zuständigkeiten und Vollmachten gehabt hätte, hätte ich die gesamte „kleine Privatisierung“ in zwei Monaten durchziehen können. Denn die Belegschaften in den Betrieben wollen ja privatisiert werden.

Aber welchen Sinn macht eine Privatisierung, bei der das Eigentum an die Belegschaft übergeht? Sie haben dadurch noch kein Kapital und kein Management.

Es wäre aber sofort Konkurrenz entstanden, weil wir auch die Lagerhaltungs- und Transportbetriebe privatisiert hätten. Die Geschäfte wären also nicht mehr zentral von oben beliefert worden, sondern die Lieferanten hätten untereinander konkurrieren müssen. Und was das Kapital betrifft: Ich wäre bereit, Kredite zu gewähren. Als Bürgschaften könnten wiederum die Eigentumsrechte dienen. Bei der „kleinen Privatisierung“ muß natürlich nicht jeder Eigentumsanteile erwerben. Wahrscheinlich wäre nur ein Teil der Belegschaft dazu bereit.

Also eine Art Aktiengesellschaft?

Eher eine Kooperative von Privateigentümern, aber nur auf der ersten Ebene. Denn eine richtige Kooperative wäre das nicht, weil ja in der Kooperative das Eigentum unteilbar ist; in diesem Fall wäre das Eigentum teilbar. Und dann können Sie natürlich Ihre Aktien verkaufen, so daß nach einiger Zeit das Eigentum einer Gruppe oder Einzelnen gehört, die in der Lage sind, ein ganzes Paket von Aktien zu kaufen.

Hier im Westen sehen wir das größere Problem der russischen Wirtschaft vor allem in den Konglomeraten, die ja die Entstehung von Wettbewerb verhindern.

Die Großbetriebe und die Konglomerate sollen zunächst zerschlagen werden. Die Bestandteile werden erst danach privatisiert, nach der Entflechtung. Dann bekommt die Belegschaft des jeweiligen Teilbetriebes einen Teil der Aktien gratis. Die übrigen Aktien des Betriebes werden dann verkauft, unter Kreditgewährung.

Sie selbst verstehen sich als Liberale. Bei uns im Westen würden Liberale aber nie für eine kollektive Privatisierung plädieren. Ist das, was sie tun, nicht ein Widerspruch in sich?

Ich möchte Ihnen erklären, warum. Solch ein reines wirtschaftsliberales Muster wäre in Rußland nicht machbar. Das grundsätzliche Problem nämlich ist, daß wir nicht definieren können, wer das alles schließlich besitzen soll. Die Menschen, die nur gearbeitet, also ehrlich gearbeitet haben, die wurden alle enteignet. Es gibt in Rußland kein privates Kapital. Kapital existiert nur in zwei Formen: erstens als Parteigeld, das jetzt in der Verfügungsgewalt der alten Nomenklatura liegt, und zweitens bei der Mafia, also den Leuten, die auf dem Grau- und Schwarzmarkt Reichtümer gehortet haben. Wenn man diese Kapitalbesitzer als Käufer zuläßt, dann bleiben die Menschen nach wie vor enteignet. Und deswegen lautet die liberale Idee in Rußland momentan: Man muß versuchen, das Staatseigentum an so viele Personen wie irgend möglich zu überführen.

Dann werden die Menschen anfangen, sich gegenseitig Aktien zu verkaufen. Es entsteht also ein Markt mit Angebot und Nachfrage, auf dem diejenigen, die Geld haben, Aktien kaufen werden; und wer Geld braucht, kann seine Aktien abstoßen.

Wer wären denn nach diesem System die Käufer? Wäre das nicht automatisch wieder das Kapital der Nomenklatura und der Mafia?

Es wird aber die freiwillige Entscheidung dieser Zwischeneigentümer oder ursprünglichen Eigentümer sein. Das ist vor allem eine politische Sache. Im ersten Schritt verkauft der Staat eben nicht an die Mafia und die Nomenklatura. Im zweiten Schritt ist die Bevölkerung eingebunden. Sicherlich werden diejenigen, die bei uns das Geld haben, am Ende an die Aktien kommen. Aber wenn der Staat direkt an sie verkaufen würde, würde er nur der Korruption Vorschub leisten, denn die Verwaltung bei uns ist korrumpierbar. In den Großbetrieben ist es unmöglich, das Eigentum konkret an die Belegschaft zu übergeben, deswegen ist das Quasi-Kollektiveigentum die Ersatzlösung dafür. Interview: Donata Riedel

Übersetzung: Sergej Saizew