: Wer nicht heiraten will, muß büßen
■ Bei Arbeitslosen, die in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft leben, wird das Einkommen des Partners bei der Berechnung der Arbeitslosenhilfe einbezogen. Das Bundesverfassungsgericht prüft seit...
Wer nicht heiraten will, muß büßen Bei Arbeitslosen, die in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft leben, wird das Einkommen des Partners bei der Berechnung der Arbeitslosenhilfe einbezogen. Das Bundesverfassungsgericht prüft seit gestern, ob diese Regelung verfassungswidrig ist.
Eheähnliche Lebensgemeinschaften werden vor dem Gesetz immer dort Ehen gleichgestellt, wo der Staat mit der Gleichstellung Geld sparen kann. Jetzt muß sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage befassen, ob bei der Berechnung von Arbeitslosenhilfe weiterhin das Einkommen eines Partners, der mit dem Anspruchsberechtigten in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, angerechnet werden darf. Die Verfassungsrichter wollen am 3.November endgültig darüber entscheiden. Den Zeitpunkt nannte gestern der Vorsitzende des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts, Professor Roman Herzog, in einer mündlichen Verhandlung des Gerichts. Der Senat hat über eine Vorlage des Sozialgerichts Fulda zu entscheiden, das die seit 1.Januar 1986 geltende Anrechnungsregelung für verfassungswidrig hält.
Die sogenannte „verschärfte Bedürfnisprüfung“ für die Zahlung von Arbeitslosenhilfe war eingeführt worden, nachdem das Bundesverfassungsgericht 1984 entschieden hatte, daß die Partner eheähnlicher Gemeinschaften beim Bezug von Arbeitslosenhilfe nicht bessergestellt werden dürften als Ehepartner, bei denen Einkommen und Vermögen des Partners bei der Bedürfnisprüfung jeweils angerechnet werden.
Für die Bundesregierung verteidigte der Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Werner Tegtmeier, die Regelung, die Partnerschaften in faktisch gleicher wirtschaftlicher Lage gleichbehandeln wolle. Benachteiligungen bei der Anrechnung von Unterhaltsleistungen würden durch ergänzende Leistungen der Sozialhilfe ausgeglichen.
Wie die Anhörung weiterer Experten des Ministeriums und der Bundesanstalt für Arbeit ergab, gehen die Arbeitsämter dann vom Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft aus, wenn „aus einem Topf gewirtschaftet wird“. Die Antragsteller auf Arbeitslosenhilfe erhielten ein entsprechendes Merkblatt. Nachforschungen, ob die Angaben zutreffen, würden nur in Ausnahmefällen angestellt.
Nach fünf Jahren erste Verhandlung
Seit fünf Jahren liegt die Frage nun dem Bundesverfassungsgericht vor. Nach der mündlichen Verhandlung eines Rechtsstreits zwischen einer Arbeitslosen und der Bundesanstalt für Arbeit im November 1986 beschloß die Kammer 1c des Sozialgerichts Fulda, die Karlsruher Richter einzuschalten. Der 1950 geborenen Klägerin war im Juni 1984 die Zahlung von Arbeitslosenhilfe abgelehnt worden, weil sie in eheähnlicher Gemeinschaft mit einem Partner zusammenlebte, dessen Einkommen auf ihren Anspruch anzurechnen sei. Dabei stützte sich die Bundesanstalt für Arbeit auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 10.Juli 1984, wonach die unterschiedliche Behandlung einer Ehe gegenüber einer eheähnlichen Gemeinschaft nicht zu rechtfertigen sei. Das Einkommen eines Arbeitslosen müsse also sowohl bei nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten als auch bei unverheiratet zusammenlebenden Personen im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung nach Paragraph 138 Absatz 1 des Arbeitsförderungsgesetztes (AFG) berücksichtigt werden. Seit dem 1.Januar 1986 sei die Anrechnung von Einkommen und Vermögen des Partners einer eheähnlichen Gemeinschaft in § 137 Abs. 2a AFG vorgeschrieben.
Dagegen hatte die Arbeitslose dann beim Sozialgericht Fulda geklagt. Anders als bei dauernd getrennt lebenden Eheleuten erhalte sie von ihrem Partner, der ihr gegenüber auch nicht unterhaltspflichtig sei, keinerlei Leistungen. Das Fuldaer Gericht hält diesen Paragraph 137 Absatz 2a für verfassungswidrig und damit unanwendbar. Mit Verweis auf das Grundgesetz hat es deshalb das Verfahren erst einmal ausgesetzt und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts angefordert.
„Die Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft“, heißt es dazu in der Begründung der Fuldaer Kammer, die „den Partner einer intakten Ehe gleichstellt, sind einander nicht unterhaltspflichtig“. Die entsprechende Regelung verstoße damit gegen Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes, der es dem Gesetzgeber verbietet, ungleiche Sachverhalte gleich zu behandeln.
Der Anknüpfungspunkt für die verschärfte Bedürftigkeitsprüfung bei Antragstellern auf Arbeitslosenhilfe sei ja die gesteigerte Unterhaltspflicht, die nach Überzeugung der Sozialgerichtskammer in Fulda für Ehegatten gilt, „nicht aber für die Partner einer rechtlich ungeregelten Beziehung“. Die verschärfte Prüfung der Bedürftigkeit könne ihre Rechtfertigung nur aus der Unterhaltspflicht ziehen.
Die Gleichstellung von eheähnlichen Gemeinschaften und Ehen führt, wie die Fuldaer darüber hinaus ausführen, zu weiteren Ungleichheiten. Wenn zum Beispiel der Partner eines Arbeitslosen aus anderen Lebenszusammenhängen heraus unterhaltspflichtig ist, würden Leistungen innerhalb seiner eheähnlichen Lebensgemeinschaft nicht berücksichtigt. Auch bei Zwangsvollstreckungen werden die Unterhaltsleistungen gegenüber einem arbeitslosen Partner nicht zur Erhöhung der Pfändungsgrenzen herangezogen.
Eine Million „wilde Ehen“ in der Bundesrepublik
Die zuständige Richterin und die ehrenamtlichen Richter der Kammer 1c des Fuldaer Sozialgerichts verweisen in ihrer Begründung ausdrücklich auf geltendes Sozialrecht. „Die Entscheidung, in einer eheähnlichen Gemeinschaft zu leben, ist Ausdruck der durch Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit und verstößt auch nicht gegen das Sittengesetz.“ Durch den Paragraph 137 Absatz 2a AFG werde der Partner des Arbeitslosen aber gezwungen, diesen wie einen Ehepartner zu unterhalten, obwohl er hierzu nicht verpflichtet sei.
Die einzige Möglichkeit, dieser Verpflichtung zu entgehen, sei die Trennung. „Der Arbeitslose, der den vom Arbeitsamt angerechneten Betrag nicht erhält, muß die Gemeinschaft lösen, um die Arbeitslosenhilfe ungekürzt zu erhalten“, moniert das Sozialgericht. Die Zahl der nichtehelichen Partnerschaften in Deutschland wird auf rund eine Million geschätzt. bg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen