: Denkzettel für den ÖTV-Vorstand
Vorstandsfrau rauscht bei der Wahl zum Hauptvorstand der Gewerkschaft glatt durch/ Magere Ergebnisse auch für andere KandidatInnen/ Der Gewerkschaftsfahrplan gerät durcheinander ■ Aus Nürnberg Martin Kempe
Monika Wulf-Mathies mit nur dürftiger Mehrheit gewählt, eine ihrer Vertrauten im geschäftsführenden Hauptvorstand der Gewerkschaft ÖTV, die für den Gesundheitsbereich und Frauen zuständige Ulrike Peretzki-Leid, durchgefallen, ihr Kandidat für den wichtigen Bereich Tarifpolitik, Peter Blechschmidt, in einer Kampfabstimmung, aber mit deutlicher Mehrheit gewählt — die Wahlen zum geschäftsführenden Hauptvorstand der Gewerkschaft in der Nürnberger Frankenhalle gerieten zu einem Hindernislauf mit dauernder Absturzgefahr. Den ganzen Dienstag über zogen sich die Abstimmungen hin. Vom ursprünglichen Zeitplan für den Kongreß blieben da nur noch Fragmente übrig.
Der Denkzettel für die Vorsitzende Wulf-Mathies, die am Vorabend mit nur 68 Prozent der Stimmen in ihrem Amt bestätigt worden war, wurde durch das dürftige Stimmergebnis für ihren Stellvertreter Wolfgang Warburg noch unterstrichen. Knapp 59 Prozent der Delegierten stimmten für den alerten Sozialpolitiker, der vor dem Gewerkschaftstag hinter den Kulissen klargestellt hatte, daß er als Alternative zu Monika Wulf-Mathies nicht zur Verfügung stehen würde. Bei der Wahl zum zweiten Stellvertreterinnenposten wiederum konnte die vom bisherigen ÖTV-Hauptvorstand nominierte Ost-Frau Jutta Schmidt aus Frankfurt/Oder, bisher stellvertretende Bezirksvorsitzende in Brandenburg, mit 718 von 931 gültigen Stimmen ein triumphales Ergebnis einfahren. Auch der CDU-Kandidat für den geschäftsführenden Hauptvorstand, der vor vier Jahren überraschend gewählte Ralf Zimmermann, erhielt mit 784 Stimmen ein überaus komfortables Ergebnis.
Die gewerkschaftsinterne Opposition gegen die Tarifpolitik des bisherigen geschäftsführenden Hauptvorstandes hatte für die Nachfolge des zurückgetretenen Tarifpolitikers Willi Hanss einen der ihren, den Offenbacher Kreisvorsitzenden Burkhard Müller, nominiert. Die Entscheidung ergab eine deutliche Unterstützung für den Kandidaten des Hauptvorstandes für diese Schlüsselposition, den Bochumer Kreisvorsitzenden Peter Blechschmidt, der mit 638 zu 239 Stimmen über seinen Konkurrenten siegte. Im ersten Wahlgang konnte sich der erst während des Kongresses vom Hauptvorstand nominierte Kandidat Günter Dickhausen gegen den stellvertretenden hessischen Landesvorsitzenden Gerold Schaub noch nicht durchsetzen. Die Wahlergebnisse der übrigen Vorstandsmitglieder, auch für die zweite Frau aus Ostdeutschland, Heiderose Förster, lagen bei Redaktionsschluß noch nicht vor. Eine Ersatzkandidatin für die durchgefallene Ulrike Peretzki-Leid gab es bis zum Dienstag abend nicht.
Unabhängig von den Wahlergebnissen über die restlichen Vorstandsposten zeigte sich die ÖTV auch am dritten Tag ihres Nürnberger Kongresses als eine Organisation, die ihre Konflikte nicht mehr versteckt und auch nicht mehr verstecken kann. Es ist kein Geheimnis, daß das mäßige Wahlergebnis für die Vorsitzende Wulf-Mathies äußerst knapp über ihrer persönlichen Schmerzgrenze gelegen hat. Denn bei einem Ergebnis von 68,5 Prozent der gültigen Stimmen ist durchaus fraglich, ob sie noch die Unterstützung durch die Mehrheit der westdeutschen Delegierten hat. Beobachter gehen davon aus, daß die übergroße Mehrzahl der rund 300 Delegierten aus Ostdeutschland und Ost-Berlin Wulf- Mathies unterstützt hat. Unabhängig von dem Ausgang der Wahl der übrigen Mitglieder des geschäftsführenden Hauptvorstandes aber gilt als sicher, daß die Vorsitzende auch in den nächsten vier Jahren für ihre Reformpolitik im Spitzengremium der Gewerkschaft auf mehrheitliche Unterstützung rechnen kann.
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