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Weiter weg geht nicht

■ Wolfgang Stemmer, 53, einfallsreicher Streiter für sein Fotoforum Langenstraße, geht nach Australien — und droht Rückkehr an

taz: Sie haben Zeit, Kraft, Geld, Connections, Engagement ins Fotoforum gesteckt. Am Samstag verlassen Sie Bremen. Warum?

Wolfgang Stemmer: Weil in dieser Stadt nicht gebraucht werde. Ich bin 12 Jahre beim Fotoforum und habe es mitgegründet und sicher in den letzten sechs, sieben Jahren seine Ausstellungspolitik und -qualität wesentlich mitgeprägt. Wir mußten die Böttcherstraße verlassen, und die Arbeitsbedingungen haben sich so verschlechtert, daß ich meine Fähigkeiten hier nicht entfalten kann.

Eine handfeste Kapitulation.

Kapitulieren tu' ich persönlich, aber nicht das Fotoforum, weil einfach das Konzept zu gut ist.

Im letzten Herbst hat es die Regierungsumbildung gegeben, das Ende der SPD-Alleinherrschaft; daran hatte das Fotoforum erhebliche Hoffnungen geknüpft.

Ganz sicher. Alle damaligen Oppositionsparteien, FDP, Grüne, CDU, hatten vor der Wahl fest erklärt, daß sie die Raumsituation befriedigend lösen wollen, das heißt die alleinige 12monatige Nutzung durch das Fotoforum.

Soweit die Hoffungen.

Ja, fortgesetzt durch die wunderschöne Antrittsrede der neuen Senatorin anläßlich der Ausstellung F. C. Gundlach. Man muß jetzt aber erkennen, daß sich das alles nicht realisieren läßt. Die Konzepte der Kulturbehörde funktionieren nicht.

Das Fotoforum darf nur 8 Monate in den Räumen Langenstraße ausstellen, 4 ist jetzt das Museum Weserburg drin.

Nicht mal das ist gesichert. Ich will nicht die Einrichtungen gegeneinander auspielen, es geht um Konzepte. Wir finanzieren uns marktwirtschaftlich; der Staat stellt die Räume und eine Grundfinazierung von 150.000 Mark im Jahr. Das ermöglicht uns, Sponsoren zu gewinnen. Dazu kommen die Eintrittsgelder — ohne daß wir dafür Qualitätsabsenkung machen. Wenn man die Besucherzahlen der Böttcherstraße fortschreiben könnte, würde das eine Viertelmillion Mark Einnahmen bedeuten über Besucher.

Aber das kann man nicht.

Ja, wir haben hier wieder bei Null angefangen. Aber durch spektakuläre Ausstellungen wie die Bilderlust, eine veränderte Form der Ausstellung „Das Aktfoto“, unter dem Aspekt eines privaten Sammlers, hat sich das positiv entwickelt, auch über F. C. Gundlach-Sammlung und die

Stemmer über Stemmer: „Natürlich war ich manchmal ätzend, natürlich war es auch nicht leicht , mit mir zu arbeiten...“Foto: Tristan Vankann

sehr kontrovers diskutierte Austellung „3 x 1 + 1“, die bewußt eine unheimliche Bilderfülle angehäuft hat. Der Vorwurf hieß ja: Das Fotoforum kann die Räume nicht füllen. Blanker Unsinn.

Warum gehen 8 Monate nicht?

Wegen der Finanzierung: Die Hälfte der Besucher ist nicht aus Bremen, sie verbinden mit dem Ort eine Erwartung. Und: Wenn es keine Regelmäßigkeit gibt, fällt der Sponsor-Bereich aus. Die Firmen ziehen tatsächlich zurück, das ist eine Beschneidung der Refinanzierung, und die ist nicht zu akzeptieren.

Die Hoffungen in die Ampel sind für Sie erledigt.

Richtig. Außer, es passiert ein Wunder.

Die Hoffnungen nach dem Umzug...

Da ist jetzt ist ein neues Damoklesschwert da: Man denkt darüber nach, das Haus Langenstraße zur Innenstadt-Dependance des Focke-Museums zu machen, denn offensichtlich wird Dr. Christiansen seinen Neubau nicht kriegen. Man hat ihn, ich sags mal drastisch, unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Bremen gelockt. Dann steht das Fotoforum wieder raumlos da. Das sind alles Motive für meine persönliche Entscheidung. Das Fotoforum wird das alles überleben.

Mann mit Bart

Also: Der 150.000-Mark-Zuschuß wird schon aufgefressen, weil nicht die Zuschauerzahlen erreicht werden können, wenn man schon am Gebäude nicht mal aufs Forum hinweisen kann. Die „Zeit“ nimmt Sie nicht in „Museen und Galerien“ auf, weil Sie nur 8 Monate ausstellen. Die Sponsoren rennen weg. Da ist

doch kein Land in Sicht.

Das ist auch die Strategie der Kulturbehörde, diese Einrichtung zu zerschlagen. Es gibt keinen rationalen Grund, eine Institution, die europaweit diese Anerkennung und diese Einmaligkeit hat, so zu behandeln. Das kann man nur noch erklären mit absoluter Unfähigkeit — oder mit

krimineller Potenz.

Da werden Versprechen gebrochen...

Ja. Und hinhaltend taktiert. Diese Senatorin und ihr Staatsrat sind auf einen Apparat aufgeprungen, der weder an Haupt noch an Gliedern reformiert worden ist. Viele hätten sich gewünscht, daß der Senatsrat ausgewechselt wird...

Dieter Opper...

Ja. Es ist eine große Bereitschaft dagewesen auf allen Ebenen, einen neuen Anfang zu machen in der Kultur. Und das ist ja das Erschreckende, daß das in den ersten sechs Monaten dieser Senatorin auf Null zusammengebrochen ist.

Sie gehen ausgerechnet nach Australien!

Das hat sich durch meine vielen Tätigkeiten und Kontakte ergeben. Eine Stiftung, die ein Konvolut deutscher Kunst der 60er, 70er, Jahre hat, mit einem hohen Anteil an Fotografie, will dieses Material sichten und aufarbeiten lassen. Das mache ich zusammen mit einem Franzosen.

Sind Sie für immer weg?

Das ist befristet auf maximal drei Jahre. Dann bin ich hochmotiviert, meine Fähikeiten und Erfahrungen in Bremen im Kulturbereich einzusetzen.

Sind Sie traurig?

... Ja. ... Man verläßt nicht gerne eine Sache, von der man so überzeugt ist. Fragen: S.P./J.O.

Nachtrag: Gerade gestern erhielt Stemmer einen Brief des Staatsrats Schwandner. Zitat: „Für 1993 müssen wir umgehend ein Gespräch führen, denn unter Umständen muß über eine völlig neue Konzeption des Ausstellungsortes Langenstraße diskutiert werden.“ Immerhin werde damit deulich, findet Stemmer mit bitterem Lächeln, daß er „keine Paranoia“ habe.

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