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Wo Ausbeutung Spaß macht, steigt die Dividende

Mit Gruppenarbeit will die Kapitalseite die Produktivität erhöhen und die Gewerkschaft die Arbeit humanisieren/ Opel-Betriebsrat: „Gruppenarbeit bietet Chancen und Risiken“/ Opel schreitet voran, Mercedes folgt  ■ Aus Bochum Walter Jakobs

Die halbautomatischen Maschinen in der Auspuffertigung des Opelwerkes in Bochum stanzen, biegen und schweißen wie eh und je. Und doch hat sich etwas verändert in der Halle, in der die Auspuffanlagen für den neuen Opel-Astra produziert werden. Rüdiger Schürmann, seit zweieinhalb Jahren in der Abteilung im Schichtbetrieb, steht vor seinem Schweißautomaten und überlegt nur kurz. Die wichtigste Änderung seit Einführung der Gruppenarbeit? Die Antwort des 24jährigen kommt prompt: „Das Abhängigkeitsverhältnis vom Vorgesetzten ist nicht mehr so stark. Ich gehe heute ohne das gewisse Angstgefühl in den Betrieb.“

Weniger Kasernenhofton, weniger Unbehagen vor überraschend aufkreuzenden Meistern und Betriebsleitern, einfach ein bißchen mehr Freiheit. Das ist es, was vor allem den jungen, wachen, engagierten Beschäftigten an der Gruppenarbeit gefällt. „Wenn früher ein Betriebsleiter durch die Halle kam und dich außerhalb der Pausen mit einem Kaffee gesehen hat, wurdest du angemacht. Das würde heute nicht mehr passieren“, sagt Arndt Balthasar, einer von vier Gruppensprechern in der Auspuffproduktion. „Wir sind in der Gruppe stärker geworden“, beschreibt Rüdiger Schürmann, gewiß kein Hasenfuß, den Wandel. Vor der Einführung der Gruppenarbeit hing es allein vom Wohl und Wehe des Meisters ab, wer versetzt oder bei Engpässen in andere Abteilungen verliehen wurde. „Und wenn der einen auf'm Kieker hatte, dann ging der auf Wanderschaft, z.B. zum Fließband“, erinnert sich Andreas Röska, der schon seit 1978 bei Opel schafft. Der 29jährige möchte die Gruppenarbeit nicht mehr missen. „Ich fühle mich einfach wohler, denn der Umgang ist menschlicher geworden.“

Ein paar Maschinen weiter, an einer schon etwas altersschwachen Stanze, hört man andere Töne. Für den 55jährigen Walter Hupka hat sich „nichts geändert. Wir machen die gleiche Arbeit wie früher und bekommen das gleiche Geld. Alles gleich. Was soll das Gerede?“ Es sind vornehmlich die Älteren, die sich kritisch äußern. Jahrzehntelange rigide Fremdbestimmung und Fremdkontrolle haben ihre Spuren hinterlassen, so daß der Wandel eher als Bedrohung denn als Chance begriffen wird. Zur Selbstorganisation der Gruppen gehört die Pausen- und Urlaubsplanung ebenso wie die Verbesserung des Arbeitsschutzes, die Überwindung hoher Arbeitsteilung oder die Übernahme von Wartungs- und kleineren Reparaturarbeiten. Für einige ist das ein bißchen viel. Der großen Mehrheit machen die neuen Freiheiten und Herausforderungen, die für viele auch ein bißchen mehr Lohn bringen, aber offenbar eher Spaß. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls eine Begleitstudie der Dortmunder Sozialforschungsstelle. Nach dieser Untersuchung stehen weniger als 10 Prozent der Beschäftigten der Gruppenarbeit negativ gegenüber. 60 Prozent äußern sich „positiv“ oder „sehr positiv“. 30 Prozent reagieren „zwiespältig“.

„Jetzt entscheidet die Gruppe“

In den meisten Gruppen der Bochumer Auspuffproduktion läuft es gut. „Das macht schon Spaß, wenn man die Entwicklung der Kollegen sieht“, freut sich Betriebsrat Hans Reppel, der auf seiten der Arbeitnehmervertretung für die Umsetzung der Gruppenarbeit verantwortlich ist. Natürlich werden auch heute noch die Auspuffbauer bei Engpässen an ungeliebte Abteilungen verliehen, „aber jetzt entscheidet die Gruppe, wer in welcher Reihenfolge wohin geht“, sagt Arndt Balthasar. Also keine Strafversetzungen mehr auf des Meisters Geheiß, sondern der Versuch, die ungeliebten Jobs möglichst gerecht auf alle Gruppenmitglieder zu verteilen.

Mit der Gruppenarbeit experimentiert Opel seit Ende 1988. Rund 2.000 der 19.000 Beschäftigten arbeiten im Bochumer Werk inzwischen in 140 Gruppen. Je nach Abteilung und Aufgabe umfaßt die einzelne Gruppe zwischen acht und 15 Personen. Koordiniert wird die tägliche Arbeit vom gewählten Sprecher. Den Rahmen steckt die Gruppe selbst in dem bis zu einer Stunde dauernden wöchentlichen Gruppengespräch ab.

Daß die Geschäftsleitung von Opel diesen Zugewinn an „Arbeiterautonomie“ auch noch bezahlt, entspringt keiner plötzlichen humanitären Eingebung, sondern einem spitzen ökonomischen Kalkül. Die Zeit des bis zum Exzeß betriebenen Taylorismus, also die immer weitere Zerstückelung von Arbeit bis hin zu Taktzeiten von weniger als 45 Sekunden, neigt sich dem Ende zu. In der Adam Opel AG, so heißt es denn auch in der Präambel der zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat abgeschlossenen Betriebsvereinbarung zur Gruppenarbeit, „wird Gruppenarbeit eingeführt, um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu erhalten und zu steigern sowie den Mitarbeitern/innen verbesserte individuelle Entwicklungsmöglichkeiten im Rahmen ihrer betrieblichen Tätigkeiten anzubieten. Wesentliche Ziele der Gruppenarbeit sind der kontinuierliche Verbesserungsprozeß (KVP), Steigerung der Flexibilität und Einsatzbereitschaft der Mitarbeiter/innen sowie Erhöhung der Arbeitszufriedenheit und der Motivation...“

„Im klassischen Sinn mehr Ausbeutung“

Aus Sicht der Unternehmensleitung, da macht sich der linke Sozialdemokrat Hans Reppel nichts vor, „geht es um intelligenteres, produktiveres Arbeiten“. Im „klassischen Sinne könnte man von einem Mehr an Ausbeutung sprechen“. Doch von dieser marxistischen Vogelperspektive hält Reppel nicht viel. „Wir sind ein Drittel unseres Lebens im Werk und wir wollen, daß es dort humaner und demokratischer zugeht. Dazu kann Gruppenarbeit ein Weg sein, wenn die Arbeitnehmerseite für die Durchsetzung gewisser Standards sorgt.“ Für Reppel gehören „Qualifizierungsmöglichkeiten“ ebenso dazu wie Gruppengespräche während der Arbeitszeit und eine Veränderung der Technik. Reppel ist überzeugt, daß sich „die Millimeterarbeit lohnt“.

Das Urteil des Rüsselsheimer Opel-Arbeiters Guido Casu, der seit 17 Jahren am Band steht, fällt dagegen vernichtend aus: „Ich glaube“, schreibt er in der linkssozialistischen Gewerkschaftszeitung 'express‘, „daß Gruppenarbeit angesichts unserer aktuellen Schwäche ein Weg in den Korporatismus ist, einseitig den Unternehmern nützt und nicht zu mehr Selbstbewußtsein und Autonomie der Arbeitnehmer führt.“ Diesem Verdikt mögen sich die meisten Gewerkschafter bei Opel in Bochum indes nicht anschließen. Die unterschiedliche Bewertung resultiert auch aus verschiedenen Gruppenarbeitsformen. Das, was die Opel-Manager in Antwerpen und z.T. auch in Rüsselsheim als Gruppenarbeit bezeichneten, habe, so ein Bochumer Betriebsrat, „mit Gruppenarbeit nichts zu tun“. Gruppenarbeit am Band ohne Änderung der Technik komme einer Roßtäuscherei nahe.

Was Opel 1988 begann, will Mercedes in diesem Jahr nachholen. Erst vor ein paar Wochen verkündeten die Manager der Stuttgarter Nobelfirma, noch in diesem Jahr 150 Gruppenarbeits-Pilotprojekte auf den Weg bringen zu wollen. Daimler- Personalvorstand Tropitzsch hofft auf einen Kostenspareffekt in Höhe von „fünf bis 15 Prozent“.

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