: »Halt die Schnauze«
■ »Huah!« und »Die Regierung« heute abend auf der Insel in Treptow
Nie war die deutsche Popmusik so schlecht wie heute. Sie war allerdings auch selten besser. Man könnte sagen, das sei nicht so tragisch. Ist es aber. Doch auch in den dunkelsten Zeiten gibt es die Silberstreifen am Horizont. Einzelkämpfende Kapellen setzen vereinzelte Glanzlichter. Im Moment heißen sie »Huah!« und »Die Regierung«.
Huah! kommen aus Hamburg, der deutschen Pophauptstadt der 80er, die in letzter Zeit etwas den Anschluß verloren hat an eine Spitze, die leider nicht existent ist. Huah! waren verschrien oder geliebt wegen ihres Fun-Punks, der mit rüdem Spaß ausgestattet locker befahl: Friß oder stirb! Lach oder eben nicht! War nicht jedermanns Geschmack, dieser Humor. Mit ihrer letzten Platte Scheiß Kapitalismus läuten Huah! zumindest musikalisch bessere, manchmal gar beste Zeiten ein. Sie demonstrieren eine so außerordentliche Stilvielfalt, daß die Platte schier auseinanderfallen möchte: Krachender Gitarrenrock, Soulballaden, zappaeskes WahWah-Gefriemel, monotone Erzählstücke, Sixties-Teenrock, und noch mehr, was das Herz begehrt.
Ihre blöden Witze mögen zwar etwas zurückgenommen sein, sorgen aber für halbwegs eine gemeinsame Linie der Titel. Da wird der Backgroundchor schonmal mitten im Stück angeschissen, doch »mal die Schnauze zu halten«. Das Leben ist natürlich so schrecklich, daß die ganz normalen Tücken des Alltags eine ungeheure Dimension erlangen: »Ich weiß, das Leben ist nicht so schön/ Ich hab Probleme mit meiner Frisur, leihst du mir deinen Föhn?«
Im Gegensatz zur Stilvielfalt von Huah! ist Die Regierung aus Essen eine Band mit einem einzigen Sound. Es gibt sie schon seit 1985 und trotz oder gerade wegen dieser langen Existenz erlaubt sie sich keinerlei Referenzen an die NdW, sondern spielt einen geradeaus gerichteten, hübsch antiquiert klingenden Bluesrock, der durch die Trashigkeit der Gitarre eine Intensität jenseits von Pomp erhält, die ich einer deutschen Band prinzipiell nicht zugetraut hätte. Die im Hintergrund herumdümpelnde Orgel weckt selige Erinnerungen an die eigene Jugend, an Parties mit Birth-Control-Platten, oder an den ersten Joint, der natürlich keine Wirkung hatte.
Die Texte übertragen anglophile Methaphern ins Deutsche, ohne in Peinlichkeit zu ersaufen. Vorstellbar sind sie nur im lakonischen Vortragstil von Sänger Tilman Rossmy: Manchmal erinnert er gar an einen Marius Müller-Westernhagen aus einer Zeit, als es noch nicht peinlich war, ihn gut zu finden.
Vielleicht, ja sogar höchstwahrscheinlich hat originär deutscher Pop keine Chance. Es gibt also eigentlich auch nichts zu versieben. So tragisch das ist. Thomas Winkler
Am 27.6. um 20Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 6, Treptow
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