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Hingeschmissen

■ Zum Rücktritt des Leiters des Bundesamtes für ausländische Flüchtlinge

Hingeschmissen Zum Rücktritt des Leiters des Bundesamtes für ausländische Flüchtlinge

Der Schritt ist kein Paukenschlag, und eigentlich kommt er viel zu spät, doch deswegen ist er nicht weniger couragiert: wenige Tage bevor das umstrittene „Asylbeschleunigungsgesetz“ am Mittwoch in Kraft tritt, hat der Leiter des Bundesamtes für die Anerkennung politischer Flüchtlinge seinen Rücktritt erklärt. Kein Abschied aus den berühmten Alters- oder Gesundheitsgründen, keine fadenscheinigen familiären Motive.

Norbert von Nieding, langjähriger Chef der in Flüchtlingskreisen oft gefürchteten Bundesbehörde in Zirndorf hat etwas getan, was in Deutschland selten ist: Er hat den gut dotierten Posten hingeschmissen, weil er eine politische Entscheidung nicht verantworten konnte. Mit seinem Rücktritt ist er vielleicht nur der Abberufung durch das Bundesinnenministerium zuvorgekommen, denn Nieding hat sich als einer der wenigen maßgeblichen Experten öffentlich gegen das „Asylbeschleunigungsgesetz“ ausgesprochen, das eine Allparteienkoalition als Ei des Kolumbus zur Lösung des „Asylproblems“ beschlossen hat.

Der noch amtierende Chef der Zirndorfer Behörde ist nicht gerade als Vorkämpfer eines liberalen Asylrechts bekannt. Doch gerade deshalb sollte seine Kritik um so hellhöriger machen, denn hier argumentiert ein Kenner der Praxis, frei von ideologischer Schaumschlägerei und populistischen Handlungszwängen: die versprochene Beschleunigung der Asylverfahren wird in 70 Prozent der Fälle genauso lange Bearbeitungszeiten bringen, wie zuvor, rechnet Nieding den Bonner Politikern vor, nur die wenigsten Anträge könnten in der vom neuen Gesetz vorgegebenen Sechs-Wochen-Frist bearbeitet werden. Die praktische Durchführung des Gesetzes wird immense finanzielle und personelle Kräfte fordern, die aber in der Vergangenheit nie zu haben waren. Wäre das Zirndorfer Bundesamt schon vor Jahren so ausgestattet worden, man hätte sich nicht nur die aufputschende politische Diskussion der letzten Monate sparen können, sondern auch das neue Gesetz.

Was der scheidende Behördenleiter nur mit sachlichen Zahlen sagt, läßt sich auch anders ausdrücken: Um Handlungsfähigkeit und Aktivität zu demonstrieren, wurde mit großem Kraft- und Finanzaufwand ein Gesetz verabschiedet, das alten Brei nur einmal mehr umrührt, bis zur endgültigen Ungenießbarkeit. Der Lösung des Problems ist man damit keinen Schritt nähergekommen. Statt dessen werden dem Wahlvolk uneinlösbare Versprechungen gemacht. Die Wut darüber wird schon bald wieder an denjenigen abgelassen werden, die nichts dafür können, an den Flüchtlingen in den verordneten großen Sammellagern. Ins Bonner Parlamentsgebäude jedenfalls fliegt so schnell kein Brandsatz. Vera Gaserow

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