: Angst vor Verachtung
■ Lili Schlumberger-Dogu über die männerdominierte Asylpolitik in der BRD
Lili Schlumberger-Dogu, 43, ist Sprecherin des Bayerischen Flüchtlingsrats, der Dachorganisation bayerischer Flüchtlingsinitiativen. Sie ist die Tochter einer russischen Mutter und verheiratet mit einem türkischen Mann.
taz: Gibt es frauenspezifische Fluchtgründe?
Schlumberger-Dogu: Frauenspezifische Asylgründe liegen dann vor, wenn Frauen aufgrund ihres Geschlechts verfolgt werden, beispielsqeise im fundamentalistisch regierten Iran. Sexistische Verfolgung bedeutet hier, daß Frauen damit rechnen müssen, verfolgt, ausgepeitscht und eingesperrt zu werden, wenn sie sich nicht an die Kleiderordnung halten oder in Verdacht geraten, Ehebruch begangen zu haben. In Pakistan etwa ist die Steinigung von Frauen üblich. Es gibt Untersuchungen von amnesty international, aus denen hervorgeht, daß auf fast alle geflüchteten Frauen sexistische Verfolgung zutrifft, daß sie im Gefängnis oder während der Flucht sexuell belästigt oder gefoltert wurden.
Verschiedene Menschenrechtsgruppen fordern die Anerkennung frauenspezifischer Asylgründe. Werden die damit Erfolg haben?
Bisher wurde in keiner internationalen Vereinbarung ein Passus über sexistische Verfolgung aufgenommen. Überhaupt existieren derzeit massive Schwierigkeiten, eine Erweiterung des Flüchtlingsbegriffs in diese Richtung zu erreichen. Flüchtlingsfrauen sind selbst häufig in einer Situation, in der sie ihre Fluchtgründe nicht vorbringen und öffentlich machen können. Die Problematik ist nur wenigen bekannt.
Der Anteil von Frauen bei den AsylbewerberInnen beträgt etwa 20 Prozent. Woran liegt es, daß weniger Frauen als Männer Asyl beantragen?
Die Ursachen sind sicher in der patriarchalischen Struktur der Herkunftsländer zu suchen. Eine Flucht kostet heute mindestens 8.000 Mark, für die Visa, die Schlepperorganisation und die Fahrtkosten. Wenn in einer Familie nur Geld für eine Flucht da ist, wird oft dem Sohn das Geld gegeben und nicht der Tochter. Deshalb kommen so viele alleinstehende junge Männer nach Westeuropa.
Außerdem ist der Schritt zu einer Flucht für Frauen aus den Ländern besonders schwer, in denen sie aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzt sind. Wenn Frauen fliehen, kommen sie meist als Familienangehörige nach Deutschland.
Wie sieht die Situation für diese Frauen in Deutschland aus?
Das gesamte Asylverfahren wird meistens von Männern bestritten: Männer hören an, Männer dolmetschen. Flüchtlingsfrauen kommen in der Regel mit ihren Männern zu den Interviews, und diese Interviews finden wiederum sehr bald nach der Flucht statt. In einer solchen Umgebung wird eine Frau kaum über eine Vergewaltigung reden und ihre tatsächlichen Fluchtgründe offenlegen. Trägt sie das später nach, wird dies meist als „gesteigertes Vorbringen“ gewertet und damit als unglaubwürdig klassifiziert.
Darüber hinaus sind Frauen in ihrer sozialen Situation in den Sammelunterkünften doppelt isoliert. Oft ist ihr Bildungsniveau niedriger als das der Männer. Wir konnten feststellen, daß nach Aufhebung des Arbeitsverbotes für Flüchtlinge viele der Männer Arbeit fanden, die Frauen aber höchstens Putzjobs kriegen.
Sind Ihnen Fälle sexueller Belästigung in Unterkünften bekannt?
Ja. Mir sind in München mehrere Fälle bekannt, wo Frauen von Männern sexuell belästigt wurden. In Heimen wird auf diese Problematik keine Rücksicht genommen. Oft werden Männer und alleinstehende Frauen auf demselben Flur untergebracht, zum Teil müssen sie dieselben Toiletten und Duschen benutzen. Das ist für Frauen eine Zumutung. Oft trauen sie sich daher nicht mehr aus ihrem Zimmer.
Sehen Sie in der Asyldebatte Anzeichen für Veränderungen?
Die Asyldebatte geht zur Zeit in eine entsetzliche Richtung. Durch das neue Asylbeschleunigungsverfahren und die Pläne, das Grundrecht — Artikel 16 — zu ändern, wird das Asylrecht immer stärker eingeschränkt. Im Grunde wird mit der Debatte die Illusion geschürt, durch gesetzliche Maßnahmen könne die Bundesrepublik die Flüchtlinge loswerden. Dabei haben die letzten 15 Jahre der Abschreckungspolitik klar gezeigt, daß dieses Konzept gescheitert ist.
Ich habe Angst davor, daß die Debatte immer menschenverachtender wird. Statt von Menschen ist nur noch von Sachen die Rede, die man abschrecken und hin- und herschieben kann. Rassistische Tendenzen werden damit bis in die liberalen Kreise hinein salonfähig. Das schürt den gewalttätigen Rassismus in unserer Gesellschaft.
Interview: Corinna Emundts
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