: Bundeshaushalt spart bei den Armen
Ausgaben steigen um 2,5 Prozent auf 435,7 Milliarden Mark/ Einsparungen bei den Arbeitslosen/ 92 Milliarden Mark für die fünf neuen Länder/ Theo Waigel lobt sich selbst ■ Aus Bonn Tissy Bruns
Theo Waigel präsentierte eine Erfolgsstory, als er gestern den Haushaltsentwurf 1993 und die Finanzplanung bis 1996 vorlegte. Seine Eckdaten, bereits Mitte Mai den Fraktionen und der Bundesregierung vorgestellt, sind gestern vom Kabinett abgesegnet worden. Die strikte Wachstumsbegrenzung des Bundeshaushalts auf 2,5 Prozent und die bis 1996 anvisierte Reduzierung der Nettokreditaufnahme auf 22 Milliarden (1992: über 40 Milliarden) ist von den Ministerkollegen brav eingehalten worden, auch wenn es schmerzte. Regierungsdisziplin zeigte insbesondere Norbert Blüm: sein Arbeitsministerium sparte die Bundeszuschüsse für die Bundesanstalt für Arbeit ein. Die Last tragen Aussiedler, für die das pauschale Eingliederungsgeld entfällt, und Arbeitslose, die es künftig mit der Finanzierung von Fortbildung und ABM schwererhaben werden. Während Blüm darüber schwitzte, wie die 6 Milliarden für die Nürnberger Bundesanstalt vermieden werden können, machte sich Finanzminister Waigel übrigens noch für den Jäger 90 stark.
Ein Signal der Stabilität, der Konsolidierung, des Sparens — das vor allem wollte Theo Waigel am gestrigen Tag aussenden, der ihn gleich mehrfach historisch anmutete. Am 1.Juli nämlich jährte sich die Währungsunion zum zweiten Male, und ganz passend dazu ist es der erste Tag, an dem die Bundesbürger wieder frei von der Steuerlast des Solidaritätszuschlags sind. „Nichts im Busch“ in punkto Steuererhöhungen, war denn auch die eine wichtige Botschaft, die Waigel in Richtung Wahlvolk loswerden wollte, es ginge auch mit seinem Sparkurs. Der Münchner Weltwirtschaftsgipfel, der nächste Woche beginnt, war der andere Adressat: Die deutschen Staatsfinanzen sind stabil.
Daß es sich in Wahrheit doch etwas komplizierter verhält, darauf verwiesen an diesem Tag nicht nur die Oppositionsparteien und der DGB deutlich, die Waigels Finanzkonzept erneut als unrealistisch und unsozial ablehnten. Aus der Koalition selbst kamen die Hinweise darauf, daß noch mächtige Brocken aus dem Weg zu räumen sind, um die deutsche Einheit tatsächlich zu finanzieren. Deutlicher als bei vorhergegangenen Gelegenheiten gab Helmut Kohl an diesem Tag zu, was er sonst gern verleugnet. Der Aufbau werde nämlich „länger dauern und teurer werden, als wir 1990 erwartet haben“, so der Kanzler in seiner Kabinettsansprache, in der er sich erneut für Währungs- und Wirtschaftsunion feierte. Aus den Fraktionen von FDP und Union kam ein neues gemeinsames Papier zur Finanzpolitik — mit einer weitreichenden und in Waigels Plänen noch gar nicht berücksichtigten Ankündigung. In Punkt 6 des Koalitionspapiers heißt es: „Die neuen Länder werden von den Schulden des Kreditabwicklungsfonds und der Treuhandanstalt (...) freigestellt.“ Sie sollen nur an den Zins- und Tilgungslasten beteiligt werden. Was für die neuen Länder eine deutliche Erleichterung wäre, bringt hingegen für die alten Länder und den Bundeshalt ab 1994 kräftige Mehrausgaben als bisher angenommen. Ein Thesenpapier im Herbst und Verhandlungen mit den Ländern in der zweiten Jahreshälfte kündigte Waigel lapidar an — die Finanzminister in den westlichen Ländern, die ihr Ausgabenwachstum in den nächsten Jahren auf drei Prozent begrenzen sollen, dürften das etwas dramatischer sehen. Auch die zweite Stufe der entlastenden Unternehmenssteuerreform, noch vor zwei Wochen von Kohl für die zweite Jahreshälfte verbindlich angekündigt, soll unbedingt „aufkommensneutral“ sein. Wo das Geld für die Entlastung der Unternehmen herkommen soll, bleibt jedoch ungewiß. Gleichwohl: Bundesregierung, Minister und Fraktionen sind fest entschlossen, sich in den letzten Tagen vor der Sommerpause tatkräftig und entschlossen zu zeigen. Selten habe er eine „so gute Stimmung in der Fraktion“ erlebt wie gestern, meinte Waigel. Während sich Mitte Mai noch 30 bis 40 Abgeordnete zu seinen Eckpunkten enthalten hätten, gäbe es nun einmütige Zustimmung in der Fraktion. Die SPD erklärte, daß sich die Regierung um den Kassensturz herumdrücke. „Die Bundesschulden werden weiter explodieren.“
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