: Köpper, Schlenker, Mäander
■ Lichtenberg (250) im Radio auf dem Balkon / ein Traum von Sendung
Ein stattliches Erdbeereis auf der Faust sitze ich auf dem Balkon und denke: Wie schön es ist, daß der Lichtenberg gerade heute Geburtstag hat. Und wie schön zudem, daß man im Radio etwas über ihn sendet. Wenn Peter Handke 250 wird, dann wird Radio Bremen natürlich auch eine — dem Anlaß entsprechend sehr bedeutsame — Sendung gestalten. Eine gute Fee schwebt herbei, leckt an meinem Erdbeereis und sagt, ich dürfe wählen: Heute Lichtenberg oder irgendwann Handke. Ich bleibe im Jetzt. Ein schwerer Sommerregen fällt in den Kastanienbaum gegenüber. Eine zarte Hand trägt leichten Weißwein herbei. Man hört aus dem Radio nicht: Georg Christoph Lichtenberg wird am ... als siebzehntes Kind des ...in Göttingen...- nein. Da sendet einer etwas, der verstanden hat: Da watet einer durch den blumenumkränzten Teich, der Lichtenberg heißt und spritzt die, die drumherumstehen, mit kräftigen Armbewegungen naß, bis sie von Lichtenberg triefen und merken, daß es gar nicht so schlimm ist, sondern köstlich erfrischend.
Keine Vorlesung, kein gelehrter Exkurs: ein sanftes Mäandrieren durch das Sternenfeuerwerk des Göttinger Denkers, blumige Schlenker durch die Gegenwart, und immer mal wieder ein entschlossener Köpper in die Materie des Geburtstagskindes.
Der Lichtenberg-Cocktail im Radio wird mit heiterer Barockmusik aufgefüllt und mit fein gewiegten Anekdoten abgerundet: Lichtenberg trifft... „Lichtenberg trifft Günter Grass...“ — nein, das kam nicht vor. Oder doch ? Gute Idee eigentlich. So leicht war der Weißwein wohl doch nicht. Und plötzlich treten Programmdirektor Vinke und Oberphilharmoniker Bernbacher in die Kulturredaktion von Radio Bremen, umarmen die Redakteure und sagen: „Weil ihr solch tollen Rundfunk macht, dürft ihr jetzt noch viel mehr davon senden. Das Bremer Konzert wird auf zehn Minuten verkürzt. Und überhaupt: Literrraturrr! Bald ist doch 150ster Todestag von Hölderlin - da bekommt ihr den ganzen Abend. Geld spielt keine...“
Eine Hand legt sich auf meinen Arm. Ich erwache. Die Kerze auf dem Tisch ist heruntergebrannt. Was war da noch mit Lichtenberg und Bernbacher? Lichtenbergs Tod... das Kratzen im Hals ...das Testament...sechs Kinder. Ach so.
Eine knappe Stunde Lichtenberg auf Radio Bremen zwei. Geburtstagsfeier an einem Sommerabend. Schön, daß es so etwas noch gibt. Und einen ganzen Abend über Hölderlin soll es auch noch geben? Na, das hören wir uns aber an. Lutz G. Wetzel.
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