piwik no script img

»... bis die Musik gut war«

■ Der Songwriter Mac Rebennack mußte aus New Orleans auswandern. In Los Angeles wurde er Dr. John. Heute gastiert er mit einer »New Orleans Revue« im Tempodrom.

Vergangenheit und Tradition, wohin man blickt: Im Tempodrom gastiert heute abend eine »New Orleans Revue«.

Vertreter der jungen Brass-Bands aus dieser Stadt der Legenden sind leider nicht mit nach Berlin gefahren. Aber immerhin sind Vokalstilisten wie Willy De Ville oder Johnny Adams repräsentativ, mit den karnevalistisch geschmückten Wild Magnolias debütieren Abgesandte der indianischen Kultur, auch Zachary Richard steht zum ersten Mal auf einer Berliner Bühne: Der charismatische Performer mit dem kleinen »Acadian«-Akkordeon ist mit seinem Cajun-Rock eher in den Sümpfen von Louisiana als im French Quartier von New Orleans zu Hause.

Eingerahmt wird die Revue von der Backing-Band des Dr. John, alias Malcolm »Mac« Rebennack. Der 50jährige Pianist, Gitarrist, Sänger und Songautor verkörpert wie kaum ein anderer den Geist seiner Heimatstadt, der er allerdings bereits Ende der 60er Jahre den Rücken kehren mußte: Die Staatsanwaltschaft hatte etliche Live-Clubs geschlossen. Rebennack gab sich in Los Angeles den Kunstnamen »Dr. John — The Night Tripper« und zelebrierte auf Schallplatten gespenstischen Voodoo- Rock.

In den 80er Jahren dümpelte seine Karriere dahin. Erst 1989 gelang ihm mit dem jazzorientierten Big-Band- Album In A Sentimental Mood ein Comeback.

»... nicht viel Geld«

taz: New Orleans-Musik wird in erster Linie durch Sie, die Neville Brothers oder Allen Toussaint repräsentiert — Veteranen, die schon über 30 Jahre im Geschäft sind. Befürchten Sie manchmal, daß Ihre Tradition aussterben könnte?

Dr. John: Ich glaube nicht, daß die Tradition je verlorengehen kann. New Orleans ist wohl die einzige Stadt auf der Welt, in der ein 90jähriger Klarinettist mit einem 15jährigen Drummer zusammenspielt. Dieser Junge kann natürlich nicht soviel über Musik wissen wie der Alte. Aber es paßt, egal ob Avantgarde- Jazz, Bebop, Rhythm 'n' Blues, Gospel, indianische Musik oder Rock 'n' Roll — es gibt keinen Punkt, an dem man dies alles trennen könnte.

Ihr jüngstes Album »Goin' Back To New Orleans« ist eine Hommage an die über 100jährige Straßenmusiktradition Ihrer Heimatstadt.

Ja, das Material sollte soweit in die Historie zurückreichen wie nur möglich, so daß man sehen kann, woher diese Musik ursprünglich kam. Vielleicht weckt das ja bei einigen Leuten ein weitergehendes Interesse, und sie recherchieren die Quellen etwas genauer.

Könnte diese Musik, meist nicht schriftlich fixiert, verlorengehen?

Nun, es ist schon so, daß die jungen Leute heute bestimmte Platten kennen, aber oft nicht wissen, wo die Verbindung mit dieser alten Musik liegt. Da ist es gut, wenn sie mal das Gesamtbild und damit auch eine bessere Perspektive haben. Es ist gut zu wissen, daß diese Rhythmen, diese ganzen Stile, die heute als Teil der Weltkultur akzeptiert werden, schon immer hier waren — und nicht erst 1960 erfunden wurden.

Es ist kaum zu glauben, daß »Goin' Back To New Orleans« Ihr erstes Album ist, das Sie komplett in New Orleans aufnehmen konnten.

Wir waren immer gezwungen, dort aufzunehmen, wo wir unsere letzten Auftritte hatten. Als ich meine Laufbahn in den 50er Jahren begann, gab es sogar nur ein einziges Studio in New Orleans. Es macht einfach keinen Sinn, daß es auch heute nicht viel mehr gibt, wenn man bedenkt, wieviel Musik dort gespielt wird! Aber schon als ich meine ersten Studiojobs machte, bedeutete es den Musikern relativ wenig, ihre Musik aufzunehmen. Was für sie zählte, war zu spielen, diese Einstellung hat sich bis heute gehalten.

Hätte die Musik gelitten, wenn mehr Industrie gekommen wäre?

Ich denke, die Leute in New Orleans wurden mehr als in anderen Städten über den Tisch gezogen, weil sie einfach zu generös waren. Als wir damals Platten einspielten, haben wir nie nach Geld für Arrangements oder Überstunden gefragt. Wir haben so lange gespielt, bis die Musik einfach gut war. Wir haben uns nie ums Business gekümmert. Das Resultat war, daß viele Künstler aus New Orleans mal einen Hit hatten und anschließend in der Versenkung verschwanden. Sie waren dann oft verbittert und sagten sich: »Was soll ich mich mit Plattenaufnahmen rumplagen?« Es hat auch damit zu tun, daß New Orleans eine arme Stadt ist. Großartige Musik, großartiges Essen — aber nicht viel Geld.

Haben Sie je darüber nachgedacht, wieder ganz zurückzugehen?

Meine Frau, meine älteren Kinder und meine Enkel leben in New Orleans. Ich mache meine Arbeit als Sessionmusiker von New York aus. Aber ich versuche jetzt öfter nach New Orleans zu kommen. Denn ich habe wie viele meiner Freunde festgestellt: Wir werden verrückt, wenn wir uns nicht als Teil dieser Stadt fühlen können. Fragen: Jörg Feyer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen