: Der Archäologe der Moderne
■ Walter Benjamin zum Gedächtnis, 23.20Uhr, Hessen3
Richard von Weizsäcker, noch immer der Weltmeister im Produzieren bedeutungsschwangerer Nullnummern, hat's gesagt, also wird's schon so sein: „Walter Benjamin war einer der wenigen Großen. Ihm und seinem Andenken gegenüber haben wir eine bleibende Verpflichtung.“ Nun, da sich Benjamins Geburtstag am 15.Juli zum hundertsten Male jährt und „Experten“ sich auf Kongressen ihm zu Ehren die Klinke in die Hand geben, läßt man sich auch beim Fernsehen mit „kulturtragenden“ Gedenksendungen nicht lumpen.
Der Film von David Wittenberg hat mit den vielen wohlfeilen Huldigungen allerdings wenig gemein. Was der Filmemacher da in mehr als fünfjähriger Beschäftigung mit diesem Projekt zusammengetragen hat, ist ein ebenso eigenständiger wie eigenwilliger Versuch, sich einem vielgerühmten, aber wenig gelesenen Kritiker und Philosophen zu nähern. Obwohl sich Wittenberg auf Benjamins Jahre im französischen Exil, von 1933 bis zu seinem Freitod an der spanischen Grenze 1940, beschränkt, ist sein Film Die Zukunft hat ein altes Herz weder Porträt noch systematische Einführung, noch historisierendes Protokoll.
Statt dessen setzt Wittenberg auf das Prinzip des Fragmentarischen und der Assoziation, verbindet kurze Texte von und über Benjamin mit Bildern und Geräuschen, ohne dabei auf 1:1-Entsprechungen aus zu sein. Und bei diesem Konzept ist es schließlich nur konsequent, daß er sowohl auf Zeitzeugen als auch Experten, Exegeten und Interpreten verzichtet. So spricht der französische Philosoph Jean-Pierre Faye in einem eingeschobenen Interview nicht etwa über Benjamin, sondern über die Französische Revolution. Bilder aus der Bibliotéque Nationale und den Pariser Passagen wechseln mit mechanisierten Träumen der Aufklärung wie den „künstlichen Menschen“, die der Schweizer Uhrmacher Jacques Droz Ende des 18. Jahrhunderts konstruierte, oder Ausschnitten aus Joris Ivens Heldenlied, mit dem der belgische Dokumentarfilmer 1932 dem Bau des sowjetischen Stahlwerkes von Magnitogorsk ein euphorisches Denkmal setzte. Insgesamt eine ausgeklügelte Collage, die auch über 135 Minuten im besten Sinne unterhaltsam ausgefallen ist. Probleme bereiten bisweilen lediglich die Bilder von Kamerafrau Christel Fromm. Wo sie in langen Einstellungen „freischwebend“ in malerischen Landschaften oder bei einem baumelnden Schiffstau verweilen, laufen sie in ihrer „satten Schönheit“ dem Prinzip des Fragmentarischen zuwider. Doch ungeachtet dieses Mankos bewegt sich diese ambitionierte WDR-Produktion noch immer weitab vom täglichen gnadenlosen Fernseh-Einerlei.
Reinhard Lüke
Am 14.7. um 22.15Uhr in West3
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