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Offener Brief an Ministerin Iris Blaul, Hessisches Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit

an Ministerin Iris Blaul, Hessisches Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, Wiesbaden

Sehr geehrte Frau Blaul, wir begrüßen verstärkte Öffentlichkeitsarbeit zum Thema sexuelle Mißhandlung an Kindern, können aber nicht verstehen, daß Sie ohne Rücksprache mit Gruppen, die dazu arbeiten, Ihre Kampagne „Hilfen für das mißhandelte Kind“ gestartet haben, dann aber auf den Plakaten auf die Wildwasser-Projekte verweisen.

Es gibt einige Punkte an der Kampagne, die uns mißfallen. Zum einen sind in erster Linie Mädchen von sexueller Gewalt betroffen, was in ihrer Kampagne durch den geschlechtsneutralen Begriff Kinder verschleiert wird. Zum anderen empfinden wir die Art der Darstellung als reißerisch und inhaltsleer. Sie stellt betroffene Mädchen/ Frauen wieder nur als Opfer und nicht als Überlebende mit Stärken dar. Dies ist eine weitere Überschreitung der Grenzen von Mädchen und Frauen. Außerdem wurde kein entsprechender Etat für Beratungs- und Hilfsangebote bereitgestellt. Die ohnehin schon überlaufenden Beratungsstellen werden sich voraussichtlich mit noch mehr Anfragen von Mädchen/Frauen und interessierten Berufsgruppen konfrontiert sehen.

Für Überlebende bedeutet dies, noch verletzlicher als vorher abgewiesen und vertröstet zu werden, da keine Beratungskapazitäten frei sind. Wir sind der Meinung, die 500.000DM wären besser den Frauenprojekten zugegangen, die ja selber auch Öffentlichkeitsarbeit machen, damit das Verhältnis zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Beratung stimmt. Auch benennen Sie sexuelle Mißhandlung nicht als politisches und gesellschaftliches Problem, sondern frau/man bekommt den Eindruck, es wäre ein familiales Problem, dem mit Familientherapie abgeholfen werden könne.

Wir fragen uns, wem diese Aktion nützen soll und warum es notwendig ist, einen Mann aus den USA einfliegen zu lassen, obwohl es in Deutschland kompetente Frauen gibt, die schon lange zu diesem Thema arbeiten. Außerdem waren es auch in den USA Frauen, die sich zuerst mit dem Thema beschäftigten und es an die Öffentlichkeit brachten.

Wir fordern Sie auf, die Kampagne zu stoppen und die noch freien Gelder den feministischen Beratungsstellen zukommen zu lassen. Die Mitarbeiterinnen der

Gruppe Schwarze Winkel —

gegen sexuelle Gewalt an Frauen

und Mädchen, Kassel

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