Heißer Stuhl in der Humboldt-Uni

Heute wählt das Konzil der Hochschule im Berliner Zentrum eine Präsidentin oder einen Präsidenten/ Auf der KandidatInnenliste stehen: Peter Glotz, Marlis Dürkop und Adolf Zschunke  ■ Aus Berlin Christian Füller

Wer wird PräsidentIn der Berliner Humboldt-Uni? „Das ist wirklich nicht vorauszusehen, denn die Angehörigen dieser Uni sind nicht kalkulierbar“, seufzt Katrin Werlich. Sie ist Studentin im Konzil der Berliner Humboldt-Uni, dessen Mitglieder heute zur Urne schreiten. Drei KandidatInnen haben sich für das neu geschaffene PräsidentInnenamt beworben: die hartnäckige Berliner Bündnis-90/Grüne-Abgeordnete Marlis Dürkop; Peter Glotz, der Intellektuelle und Politiker, sowie der derzeitige Rektor, Adolf Zschunke. Wer immer heute die meisten Stimmen einsammelt, wird ein schwieriges Amt übernehmen, denn die Universität im Herzen Berlins kämpft gegen Ambitionen von verschiedenen Seiten, sie zur Hochschule zweiter Klasse zu machen. Und in der Uni selbst herrscht keine Einigkeit, wie mit der Vergangenheit angemessen umgegangen werden kann.

Seit zweieinhalb Jahren laboriert die Humboldt-Universität Unter den Linden an ihrer inneren Erneuerung— ein ebenso schwieriges wie teures Unterfangen. Dem Anstoß der StudentInnen im Oktober 1989, die die Universität dem Zugriff der SED- und FDJ-Sekretäre entzogen, folgte die Universität nur zögerlich. Und als die Berliner Administration der Uni nach der Wiedervereinigung mit „Abwicklung“, also massenhafter Entlassung, zu neuen Ufern verhelfen wollte, schlossen sich die Reihen der „sozialistischen Intelligenz“ fester als je zuvor. Die Existenzangst verband die knapp 600 ProfessorInnen und ihre MitarbeiterInnen wirksamer, als es der Würgegriff der marxistisch-leninistischen Ideologie jemals geschafft hatte.

Zu den inhaltlichen Differenzen kamen die finanziellen Schwierigkeiten hinzu. Der Berliner Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU) will alle Professorenstellen neu ausschreiben und — er schielt auf eine Elite-Uni — möglichst auch neu besetzen. Bei der desaströsen Haushaltslage in der Hauptstadt ein wahrhaft ehrgeiziges Projekt.

Symbolfigur Heinrich Fink

Symbolfigur des Wandels an der Humboldt-Universität (HUB) wurde alsbald Heinrich Fink, den die junge universitäre Demokratie 1990 zum Rektor gewählt hatte. Der Theologieprofessor verfocht ein Konzept der eigenständigen Erneuerung. Er kämpfte mit den Studierenden vor der Volkskammer für deren allgemeines Grundstipendium. In der ganzen HUB erwarb er sich Sympathien, beinahe Zuneigung — und wurde dann als vermeintlicher informeller Mitarbeiter der Stasi „IM Heiner“ enttarnt.

Heinrich Finks „Fall“ liegt so kompliziert wie der von Manfred Stolpe. Die „Kontakte“ des ehemaligen Sektionsdirektors der Theologie zur Stasi-Krake sind eine Binsenweisheit, über die sich nicht nur die 'FAZ‘ erging. Letztendlich wichtiger für die Humboldt-Universität war aber, daß sich in der Öffentlichkeit alles um Fink drehte — und sich im Innern der Hochschule wenig bewegte.

Als Heinrich Fink vom Wissenschaftssenator aus dem Rektorenamt entfernt und dazu noch als Professor entlassen wurde, rückte der ehemalige Prorektor auf. Mit Adolf Zschunke bekam die Universität Unter den Linden einen Leiter von ganz anderem Schlag. Der 54jährige Chemieprofessor Zschunke hat sich in der Universität wenig Freunde gemacht. „Er hat die Politik des vorauseilenden Gehorsams verstärkt“, urteilt ein Konzilsdelegierter. Zschunke erwies sich bei mehreren Entscheidungen als zu nachgiebig gegenüber Wissenschaftssenator Erhardt, der ungehemmt in die Autonomie der Universität hineinzuregieren pflegt. Vor allem aber räumte er seine Stuhl nicht, als Fink vor dem Arbeitsgericht seine Wiedereinstellung als Professor erreichte.

Doch nicht nur beim Fink-Urteil, das wegen der grundsätzlichen Zweifel des Richters an der Beweiskraft von Stasi-Akten bundesweites Aufsehen erregte, starrte die Universitätsöffentlichkeit auf die Kapriolen des Rechtsstaates. Ihr Recht bekommen die Humboldt-Universität oder ihre Angehörigen meist erst vor den Verwaltungsgerichten: dort wurde die „Abwicklung“ verschiedener Fachbereiche verworfen und entlassene ForschungsstudentInnen streiten dort um ihre Promotionsstipendien.

Die größte Bombe freilich tickt noch. Vor dem Bundesverfassungsgericht klagt die Uni gegen die Ergänzung des Berliner Hochschulgesetzes, das eine Art Zweiklassensystem von ProfessorInnen vorsieht: solche DDR-Rechts und andere, die gemäß der Richtlinien des Hochschulrahmengesetzes (HRG) berufen wurden. Allein die haben das Stimmrecht in den Kommissionen, die über den künftigen Fächerzuschnitt und über Berufungen an der HUB entscheiden.

Die Universität sieht das als Eingriff in ihre Autonomie und in die Freiheit von Forschung und Lehre. Beides ist nicht von der Hand zu weisen. Aber selbst in der Humboldt- Universität gibt es deutliche Stimmen zu einem möglichen „Erfolg“ in dem Rechtsstreit. „Das Chaos wird noch größer“, meinte eine der Konzilsdelegierten am Montag bei der Anhörung der PräsidentschaftskandidatInnen und gab das heikle Thema an diese weiter.

Der auf das Zweiklassensystem direkt angesprochene Peter Glotz glänzte mit einem entschiedenen: „Ja, aber.“ Er begrüße eine Grundsatzentscheidung, so Glotz zunächst. Die Humboldt-Fachbereichsräte sollten mitbestimmen. Aber man solle doch die Arbeit der Struktur- und Berufungskommissionen zu Ende führen, meinte er dann. Während der Befragung muß sich Glotz der Atmosphäre bewußt geworden sein, die seine Bewerbung und die ganze Anhörung bestimmte: Kühle und Distanz — von Funkenflug keine Spur. Gerade der SPD-Bundestagsabgeordnete schien es schwer zu haben. So anregend seine Ideen einer gesamtdeutschen Bildungsidee oder einer „intellektuellen Vereinigung“ sein mögen, so präsent er sich mit ihnen in den Wochenzeitungen west- wie ostdeutscher Provenienz zeigte: Glotz findet „keine emotionale Bindung“ zu den HumboldtianerInnen, wie es Katrin Werlich ausdrückte. Ihm fehle die „dezidierte Kenntnis“ der Universität.

Die wird hingegen Marlis Dürkop von den Berliner Grünen zugestanden. Die Professorin und ehemalige Fachhochschul-Rektorin der Fachhochschule für Sozialpädagogik sitzt im Kuratorium der Humboldt-Universität. Sie hat im Frühjahr ein Dossier über die Erneuerung der HUB vorgelegt, das sie als Kennerin des verwirrenden Rechts der universitären Umgestaltung auswies. Und zugleich profilierte sie sich als Kritikerin des CDU-Wissenschaftssenators, der geltendes Recht „erst nach ausdrücklicher Aufforderung durch Parlament und Gerichte“ anwende. Am Montag sagte die 48jährige im Konzil, der Rechtsstaat tue sich allgemein schwer bei der Vereinigung, die zu „Demütigungen“ in der Universität geführt habe. „Vielleicht ist meine Bewerbung auch ein Versuch, davon wieder etwas gutzumachen.“

Heute entscheidet sich, wieviel der Applaus wert ist, den sie für ihre Stellungnahme im Konzil bekam. Kenner der „unkalkulierbaren“ politischen Strömungen in der Humboldt-Universität gehen davon aus, daß die mit der absoluten Mehrheit ausgestatteten Professoren im Konzil (31 von 61 Stimmen) eher auf die Erfahrungen eines hochschulpolitischen Profis wie Peter Glotz bauen. Und so läuft alles auf eine Stichwahl zwischen den KandidatInnen aus dem Westen der Republik hinaus. Denn der vermeintliche „Heimvorteil“, den Adolf Zschunke selbst im „Gespür für die Menschen hier“ sieht, könnte auch ein Malus sein. „Kein Ostler in das Amt des Präsidenten“, das ist nach Ansicht eines ehemaligen Konzilsvertreters die Devise vieler.