KOMMENTAR: Schläge und Brückenschläge
■ Die Oberbaumbrücke ist geräumt, der Konflikt bleibt
Was für ein Glück, daß Berlin seine zernarbten Vermächtnisse des Krieges hat. Am Kubat-Dreieck war es vor vier Jahren die dringend notwendige Munitionssuche, die vorsorglich zur Räumung führte. An der stabilen Oberbaumbrücke erzwang die Einsturzgefahr den Polizeieinsatz. Gleichgeblieben ist die Verlogenheit der politisch Verantwortlichen. Nur in den Osten kann jetzt keiner mehr gehen. Und anders als vor vier Jahren wurde die Räumung begünstigt durch die offenkundige Schwäche der vielen Initiativen, für eine massive Unterstützung der Besetzung zu sorgen. Im Schlagschatten der Urlaubszeit ließ der Senat zuschlagen. Befriedet ist die Oberbaumbrücke damit längst nicht. Am Brückenbau werden sich gewalttätige Phantasien entzünden und die ständige Präsenz der Polizei erzwingen. Den Beamten tut man damit keinen Gefallen; sie werden wieder einmal zu Prügelknaben mißbraucht, weil die Politik nicht zu friedensfähigen Lösungen findet.
Der Protest mag den Bau des Innenstadtrings nicht verhindern können, dennoch wird der am Nadelöhr Oberbaumbrücke exemplarisch aufgebrochene Streit um ein menschenverträgliches urbanes Leben weitergehen. Der Ring ist eben nicht der letzte Sündenfall, das notwendige Übel, um die Autos von der Innenstadt fernzuhalten, damit dort 80 Prozent öffentlicher Nahverkehr stattfindet. Das ist vielmehr, je nach politischem Standort der Senatsmitglieder, die letzte Illusion oder nicht einmal die vorletzte Lüge. Ihnen gemein ist, daß die Realität anderer Städte, die an ihrem von Innenstadtringen induzierten Verkehr ersticken, in Berlin beharrlich verleugnet wird. Aus dem Ort, der Ost und West endlich wieder verbindet, eine Brücke der Vernunft zu machen, weigert sich der Senat. Die Hoffnung auf historische Umwälzungen ist derzeit wohl vergebens: Am Kubat-Dreieck wurde die geplante Westtangente vom Mauerfall überholt — den jetzigen Senat müssen die Berliner schon selber abwählen. Gerd Nowakowski
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