: Keine Bestrafung für kritischen Lehrling
Karlsruhe (dpa) — Engagierte, auch undifferenzierte Meinungsäußerungen dürfen bei Jugendlichen „nicht in gleicher Weise auf die Goldwaage gelegt werden wie bei Menschen mit Lebenserfahrung“. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht in einer am Donnerstag veröffentlichten Entscheidung unter Hinweis auf die Meinungsfreiheit im Grundgesetz.
In dem Fall ging es um einen Lehrling, dem aufgrund der Veröffentlichung eines kritischen Artikels in einer Schülerzeitung seiner Berufsschule von Daimler-Benz die Einstellung als Betriebsschlosser verweigert worden war. Im Jahr 1981 schrieb der damals 21jährige über seine Eindrücke von einer Demonstration gegen den Bau des Atomkraftwerks Brokdorf unter anderem: „... wir haben auch absolut nicht vor, uns von sogenannten militanten Demonstranten zu distanzieren. Die Gewalt, die hier von Staat und Wirtschaft ausgeübt wird, rechtfertigt jede Art von Widerstand.“ Daraufhin weigerte sich Daimler-Benz, ihn nach Abschluß seiner Ausbildung als Schlosser zu übernehmen — der Artikel sei nämlich ein „Bekenntnis zur Gewalt“. Es sei zu befürchten, daß der junge Mann in bestimmten Situationen auch im Betrieb Gewalt befürworten werde, argumentierte das Unternehmen.
Das Bundesarbeitsgericht teilte den Standpunkt und wies die Klage auf Einstellung ab. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts haben die Kasseler Richter jedoch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit nicht hinreichend gewürdigt. Unter anderem hätte beim „Rückschluß auf die Persönlichkeit“ des Klägers bedacht werden müssen, daß er damals ein Lernender war und seine Auffassungen möglicherweise noch nicht mit der gebotenen Differenziertheit und Abgewogenheit wiedergeben konnte. Im übrigen seien Schülerzeitungen ein wichtiges Übungsfeld für die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung. Dies sei jedoch nicht mehr gewährleistet, wenn Schüler befürchten müßten, durch einen kritischen Artikel ihren späteren Berufsweg aufs Spiel zu setzen. Der Fall wurde an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen. (Az: 1BvR 126/85
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